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Das erschöpfte Selbst der Psychologie: Die neue Psychotherapiegesetzgebung als fragwürdiges „Heilmittel“

Heiner Keupp

[Forum Gemeindepsychologie, Jg. 26 (2021), Ausgabe 1]

 

Zusammenfassung

Psychologiekritik und vor allem auch Selbstkritik hat die Psychologie immer begleitet. Kritik gab es schon an der Gesetzgebung zur psychologischen Psychotherapie Ende der 1990er Jahre. In den reformorientierten Szenen der Klinischen Psychologie wurde die Idee, Psychotherapie nach dem Modell der ärztlichen Niederlassung heftig bekämpft und gute Argumente für eine systematische Neuordnung der psychosozialen Versorgung aufgeboten. Psychotherapie sollte nicht einer unternehmerischen Marktorientierung ausgeliefert werden. Der „Preis“ für den Zugang zu Kassenleistungen war die Übernahme der psychiatrisch imprägnierten Diagnostik, ein Sprachspiel, das einer Medikalisierung die Tür öffnete. Die Alternative zu einem fachlich eigenständigen Weg zu einer sozialwissenschaftliche geprägten Klinischen Psychologie war bereits hier aufgegeben und hat mit dem jetzt beschlossenen grundständigen Studium der Psychotherapie seine endgültige Beerdigung erfahren. Offensichtlich waren die Stimmen, die einen anderen Weg vorgeschlagen haben, nicht überzeugungskräftig genug. Es ist notwendig, die eigenen Analysen aus der Frühphase einer kritischen Selbstreflexion auf aktuellem Niveau wieder aufzunehmen und vor allem sich der sich ausbreitenden Re-Biologisierung zu widersetzen.


Schlüsselwörter
: Psychologiekritik, Professionalisierung, Professionskritik, Auseinandersetzung um das „medizinische Modell“, biopsychosoziales Modell, sozialwissenschaftliche Alternativen

 

Summary

Psychology's exhausted self: The new psychotherapy legislation as a questionable “remedy”

Criticism of psychology and, above all, self-criticism have always accompanied psychology. There was already criticism of the legislation on psychological psychotherapy at the end of the 1990s. In the reform-oriented scenes of clinical psychology, the idea of psychotherapy according to the model of medical establishment was fiercely fought and good arguments were put forward for a systematic reorganisation of psychosocial care. Psychotherapy should not be at the mercy of an entrepreneurial market orientation. The “price” for access to health insurance benefits was the adoption of psychiatrically impregnated diagnostics, a language game that opened the door to medicalisation. The alternative to a professionally independent path to a social science-based clinical psychology had already been abandoned and has now been given its final burial with the decision to establish an undergraduate degree in psychotherapy. Obviously, the voices that proposed a different path were not convincing enough. It is necessary to resume one's own analyses from the early phase of critical self-reflection on a current level and, above all, to resist the spreading re-biologisation.


Keywords
: Psychology critique, professionalisation, professional critique, debate about the „medical model“, biopsychosocial model, social science alternatives

 

 

1. Einleitung

Vor 30 Jahren habe ich an der Freien Universität Berlin einen Vortrag gehalten, der unter dem Titel „Helfer am Ende? Subjektive und objektive Grenzen psychosozialer Praxis in der ökonomischen Krise“ publiziert wurde (Keupp, 1986). Es war eine Zeit, in der der stürmische Zuwachs an psychologischen Dienstleistungen einen erheblichen Dämpfer erhielt. In den Jahren davor gab es enorme Wachstumsraten in den psychologischen Handlungsfeldern. In fast allen psychosozialen Bereichen sind innovative neue Projekte entstanden und sie profitierten nicht nur von einem politischen Reformklima, sondern auch von günstigen ökonomischen Randbedingungen. Schon in den späten 70er Jahren und jetzt aber in aller Deutlichkeit wurde klar, dass sich der Kapitalismus nach einem andauernden Aufschwung von seiner krisenhaften Seite zeigen würde. Die Reforminitiativen sind damals nicht auf der Strecke geblieben, auch wenn die öffentliche Förderung immer schwieriger wurde, aber es war notwendig, die Qualität von dem, was in den Jahren vorher auf den Weg gebracht wurde, kritisch zu reflektieren. Nach der allgemeinen Kritik am Psychoboom, die wir betrieben hatten, wurde es notwendig, die Arbeitsbedingungen in den psychologischen Arbeitsfeldern kritisch zu beleuchten und sich mit dem gesellschaftlichen Mandat für Psycholog*innen auseinanderzusetzen. Damals kam der Diskurs zu den „hilflosen Helfern“ auf und die ersten Analysen zum Thema Burnout wurden veröffentlicht.

Psychologiekritik und vor allem auch Selbstkritik hat die Psychologie immer begleitet. Kritik hagelte es an der Gesetzgebung zur psychologischen Psychotherapie. In den reformorientierten Szenen der Klinischen Psychologie wurde die Idee, Psychotherapie nach dem Modell der ärztlichen Niederlassung heftig bekämpft und gute Argumente für eine systematische Neuordnung der psychosozialen Versorgung aufgeboten. Psychotherapie einer unternehmerischen Marktorientierung war mit einer antikapitalistischen Grundorientierung nicht vereinbar und man sah am ärztlichen Modell, dass auf diesem Weg eine sozialgerechte Hilfeform kaum möglich ist. Immerhin hatte die umstrittene Gesetzgebung letztlich eine gewisse Unabhängigkeit von der ärztlichen Delegation gebracht. Allerdings war der „Preis“ für den Zugang zu Kassenleistungen die Übernahme der psychiatrisch imprägnierten Diagnostik, ein Sprachspiel, das einer Medikalisierung die Tür öffnete. Die Alternative zu einem fachlich eigenständigen Weg zu einer sozialwissenschaftliche geprägten Klinischen Psychologie war bereits hier verspielt und hat mit dem jetzt beschlossenen grundständigen Studium der Psychotherapie seine endgültige Beerdigung erfahren. Offensichtlich waren die Stimmen, die einen anderen Weg vorgeschlagen haben, nicht überzeugungskräftig genug.

Mir scheint es sinnvoll, die eigenen Analysen aus der Frühphase einer kritischen Selbstreflexion der explosiven Entstehung des psychologischen Berufsstandes (vgl. Keupp, 1978, 1981, 1986, 1987b, 1989 a, b; Keupp, Straus & Gmür, 1989) noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und zu fragen, was damals und heute im Fokus steht und was an kritischer Reflexion heute zusätzlich zu leisten ist.

2. Stationen der Psychologiekritik

2.1 Das „Jahrhundert der Psychologie“ endet in der Krise

Sigmund Koch und David Leary (1985) haben in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts dieses als das „Jahrhundert der Psychologie“ charakterisiert. Sie hat sich als Wissenschaft etabliert, aber vor allem hat sie die Kinder des Wertewandels in den Nachkriegsjahrzehnten angesprochen. Sie wollten keine entfremdeten Tätigkeiten ausüben wie ihre Eltern, sie orientierten sich an „posttraditionellen Werten“ und wollten vor allem ihre eigene Selbstentfaltung vorantreiben und wenn man das sogar noch zum Beruf machen könnte, so würde das materielle und postmaterielle Ziele zugleich erfüllen. Seit den 1960er Jahren erhöhte sich die Anzahl der Psychologiestudent*innen exponentiell. Das führte zu einer Steigerungsrate bei einem Universitätsstudium, die zwei Jahrzehnte später nur von der Informatik überholt wurde. Die Psychologie wurde zu einer soziokulturellen Deutungsmacht und es gab kaum ein Thema, bei dem sie nicht ihre angemaßte und angefragte interpretatorische Hoheit entfaltete. Gleichzeitig bemühte sich die wachsende Gruppe von Psycholog*innen sich im psychotherapeutischen Handlungsfeld als Heilberuf neben der ärztlichen Zunft zu etablieren.

Die kritische Psychologie ist natürlich auch ein Kind dieser Zeit, hat aber die Entwicklung der eigenen Zunft immer wieder reflektiert, die intellektuelle Hermetik psychologistischer Sichtweisen aufzubrechen versucht, gesellschaftskritische Perspektiven eingenommen und alternative berufliche Handlungsfelder zu etablieren.

Die ganze PSY-Zunft ist allerdings seit den 80er Jahren in ihrem Siegeszug gestoppt worden. Die utopischen Energien sind auch ihr im Zuge der neoliberalen Globalisierung immer mehr ausgegangen. Zwar ist die Nachfrage nach dem Studium ungebremst und die Psychologisierung der Welt boomt ebenso. Wir erleben allerdings eine „Enteignung“ unseres Wissens. Das Monopol für psychologische Interpretationen und Interventionen liegt schon längst nicht mehr bei Fachvertretern. Betriebswirte, Managementexperten, Coaches, Medienfachleute etc. bieten alles genauso an und verdienen dabei nicht schlecht. Die weite Landschaft der Psychotherapie hat sich ohnehin in vielen Varianten von einer wissenschaftlich fundierten Psychologie gelöst und scheint dort besonders nachgefragt zu sein, wo sich die Entfernung zu einer akademischen Reflexionskultur besonders deutlich abzeichnet. Je größer der Abstand, den ein Therapieverfahren zur blutleeren kognitivistisch verkürzten Mainstreampsychologie an den Universitäten aufweist und je näher es esoterischen Sinnhorizonten und Heilsversprechungen ist, desto erfolgreicher ist es und zieht vor allem auch enttäuschte Absolvent*innen der Hochschulpsychologie an.

2.2 Psychologie der Krise und in der Krise

All diese Probleme zeichneten sich schon 1985 ab. Es war klar, dass sich ökonomische Krisen häufen würden und dass sich die relative Stabilität der restaurativen gesellschaftlichen Verhältnisse der Nachkriegsjahrzehnte, die uns in der Studentenbewegung in die Revolte trieb, auflösen würde. Aber es wurde auch immer deutlicher, dass die sozialliberalen Demokratisierungs- und Reformansätze der 70er Jahre, die wichtige psychosoziale Projekte ermöglichten, zunehmend ausgebremst werden würden. Im Rückblick ist es uns heute viel klarer, als es uns damals sein konnte, dass sich hier ein tiefgreifender gesellschaftlicher Strukturwandel vollzog, der als globalisierter Netzwerkkapitalismus nichts mehr so ließ, wie es war. Manuel Castells hat es schon in den 90er Jahren so ausgedrückt: Für ihn bedeutet „die Netzwerkgesellschaft einen qualitativen Wandel in der menschlichen Erfahrung“ (1996, S. 477). Ihre Konsequenzen „breiten sich über den gesamten Bereich der menschlichen Aktivität aus, und transformieren die Art, wie wir produzieren, konsumieren, managen, organisieren, leben und sterben“ (Castells, 1991, S. 138). Und die Psychologie war von diesem Strukturwandel in elementarer Weise betroffen, auch wenn sich die Mainstreampsychologie in ihrem naturwissenschaftlichen Selbstmissverständnis davon nicht betroffen sah.

2.3 Ein Blick zurück: Kritische Begleitchöre zur Institutionalisierung der Psychologie

Wie habe ich 1985 die Krisensymptome verstanden und eingeordnet? Mein Ausgangspunkt war die Einordnung des psychosozialen Handlungsfeldes als „Krisengewerbe“, worunter zu verstehen ist, dass wir dort mit den Krisen von Menschen zu tun haben. Die Frage war und ist, ob wir die Krisenerfahrungen von Subjekten auch als Indikatoren erkennen, in denen sich gesellschaftliche Erfahrungen und Zumutungen spiegeln bzw. individuell nicht bewältigt werden können.

Mein Text, der jetzt 30 Jahre auf dem Buckel hat, spiegelt die Reflexionsmöglichkeiten von damals:

Das Ende der Reformillusionen: Das Aufwachen aus dem „kurzen Traum immerwährender Prosperität“ (Lutz ,1989).

Nach einer Aufbauperiode nach dem Ende von Faschismus und Krieg, die vor allem als relativ krisenfreier ökonomischer Aufschwung (Sprichwort „Wirtschaftswunder“) gekennzeichnet war, kam es zu einer ersten heftigen Wirtschaftskrise mit zunehmender Arbeitslosigkeit. Auf diesem Hintergrund haben sich viele Reformhoffnungen der 60er und 70er Jahre zunehmend als illusionär erwiesen.

Die Reformbewegungen (wie die Antipsychiatrie oder die Gemeindepsychiatrie) verlieren an Energie.

In den 1960er und vor allem den 1970er Jahren sind viele Psycholog*innen in der Psychiatriereformbewegung sozialisiert worden (vgl. Keupp, 2015). Es ging um die Utopie einer veränderten Gesellschaft, in der Ausgrenzung von Dissens und Differenz überwunden, in der „Verrücktheit“ und „Anderssein“ normalisiert werden könnten. Die großen Worte wie „Deinstitutionalisierung“ (Auflösung der „Irrenhäuser“) oder „Rekommunalisierung psychischen Leids“ wurden zu Reizworten, weil sie von einem utopischen Überschuss getragen wurden, der mehr wollte, als technisch-quantitative Lösungen. Aber dieser Überschuss war schnell verbraucht, auch in den kleinen pragmatischen Schritten, die bei dem Aufbau alternativer Hilfesysteme erforderlich waren. Genau in der Zeit gab es die allgemeingesellschaftliche Diagnose der „Erschöpfung utopischer Energien“ (Habermas, 1985). Schon vor einem Vierteljahrhundert ist der Reformbewegung eine resignative Desillusionierung attestiert worden: „In der psychiatrischen Szene in der Bundesrepublik herrscht allenthalben Katerstimmung. Die Psychiatriereform habe nicht gebracht, was man sich von ihr versprochen habe; sie habe gar nicht stattgefunden, meinen einige. Sie sei steckengeblieben, meinen andere, weil es an Geld fehle, an Personal vor allem, und am politischen Willen, sie durchzusetzen.“ Dieses Bild zeichnete Asmus Finzen in einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (12. Mai 1989).

Antisubjektivismus: Psychologiekritik von rechts

Der weltweit beschriebene Wertewandel in den 70er Jahren, der sich als eine Abkehr von materiellen und Hinwendung zu postmateriellen Werten vollzog (Inglehart, 1977), die vor allem auf Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung setzten, hatten einer psychologischen Reflexionskultur eine enorme Schubkraft verliehen. Für viele Studierenden der Psychologie waren das die Wertbezüge, die ihre Berufsentscheidung begründeten. Zugleich war diese Entwicklung auch eine Kampfansage an konservative Weltbilder, deren Vertreter sich offensiv mit der Entstehung einer „psychologischen Gesellschaft“ (so der Titel der reaktionären Kampfschrift von M.L. Gross, 1984) auseinandersetzten und darin die Zerstörung der kulturellen Grundlagen der westlichen Welt sahen (vgl. Bell, 1982). Sie sahen die zentralen ideologischen Pfeiler der kapitalistischen Gesellschaft, Arbeit und Leistung, in Gefahr und vertraten eher eine Haltung, die in der Studie zum „autoritären Charakter“ als „Anti-Intrazeption“ bezeichnet wurde (vgl. Adorno, 1973), also eine Warnung vor einer selbstreflexiven und hedonistisch ausgerichteten Lebensführung, die man gerade in den Elitebildungsstätten der akademischen Jugend beobachtete.

Psychokultur als Kontrollsystem: Die Kritik von links

Die Kritik an einer zunehmenden Psychologisierung aller Lebensbereiche und die damit verbundene Entpolitisierung war auch ein zentraler Topos linker Psychologiekritik, die allerdings in ihren differenziertesten Formen nicht von außen an die Psychologie herangetragen wurde, sondern aus ihrer Mitte selbst kam. Dieser Diskurs thematisiert die Tendenz, dass psychotherapeutische Angebote das Leiden der Menschen an unmenschlichen gesellschaftlichen Verhältnissen so bearbeiten, dass der gesellschaftliche Verursachungszusammenhang ausgeblendet wird und die Probleme zu psychologisch handhab- und aushaltbaren Aufgaben umdefiniert werden. So würden den Klienten darin unterstützt, sich an gesellschaftlich fragwürdige Verhältnisse anzupassen, statt ihre Veränderung einzuklagen (z.B. Nagel & Seifert, 1979; Szasz, 1982; Zygowski, 1987).

Die Ambivalenzen der Professionalisierung eines „unmöglichen Berufs“

In den 1960er und 1970er Jahren gab es einen enormen Zulauf zu den psychosozialen Berufsgruppen, deren Bestandsraten sich vermehrfacht haben. Im Zuge dieser Entwicklung ist auch die Frage der Professionalisierung psychosozialer Dienstleistungen immer relevanter geworden. Speziell das starke Interesse an der klinischen Psychologie und Psychotherapie hat die Debatte um wirksame Formen psychologischer Hilfen aufgeworfen, einen hochkonkurrenten Schulenstreit unter den unterschiedlichen psychotherapeutischen Richtungen ausgelöst und dieser verengte sich immer stärker auf die scheinbar überlegenen therapeutisch-technischen Dimensionen psychotherapeutischen Handelns. In dieser Debatte ist die frühe Warnung Freuds überhört worden, der den Beruf des Psychoanalytikers – und das kann man für alle Psychotherapeut*innen verallgemeinern – als „unmöglichen Beruf“ bezeichnete und verstand darunter ein Handlungsfeld, in dem „man des ungenügenden Erfolges von vornherein sicher sein kann“ (Freud, 1937, S. 94). In der frühen Phase war vor allem die junge Verhaltenstherapie mit einer Haltung aufgetreten, die ich als „therapeutischen Triumphalismus“ (Keupp, 1978) bezeichnet habe. Die Grenzen des psychotherapeutischen Technizismus wurden inzwischen nicht zuletzt durch die seriöse Psychotherapieforschung aufgezeigt, die den Wirksamkeitsanteil des schulenspezifischen Handwerkszeugs deutlich unter 20% aufzeigte (vgl. Auckenthaler, 2012).

Professionskritik der Selbsthilfeinitiativen der Betroffenen

Die wichtigste Verunsicherung kam durch Selbsthilfeinitiativen von Betroffenen. Für mich ist das mit einer traumatischen politischen Erfahrung verbunden. An einem Wochenende Ende 1984 hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Grünen zu einer psychiatriepolitischen Tagung nach Berlin geladen. Endlich sollten Eckpunkte für ein psychiatriepolitisches Programm der entstehenden neuen Partei formuliert werden. Die Psychiatriereformer der Bundesrepublik kamen voller Hoffnung zu dieser Tagung, endlich eindeutige und radikale Reformpositionen im politischen Raum vernehmbar artikulieren zu können und sie erlebten doch ein spezifisches Waterloo. Ich hatte mir eine Reihe von Punkten überlegt, die ich in das geplante Programm einbringen wollte. Letztlich bin ich stumm geblieben. Warum? Zu dieser Tagung waren auch Betroffenen-Initiativen geladen worden. Und den Tagungsort nutzte vor allem die Berliner Irrenoffensive. Allein ihre Existenz war ja ein Grund zur Revision von Positionen, die damals auch in der Reformszene geteilt wurden. Michael Lukas Moeller (1978) hatte mit der Autorität des Experten betont, dass psychisch Kranke aufgrund ihrer spezifischen psychi­schen Verfassung nicht „selbsthilfefähig“ seien. Nun begegneten wir da einer handlungsmächtigen Gruppe von psychiatrieerfahrenen Menschen. Dieser Überraschung folgte die Traumatisierung. Diese Gruppe sah nicht die „böse Gesellschaft“ oder die „böse Psychiatrie“ als ihre Hauptgegner an, sondern Leute wie uns, die für sich einfach ungeprüft von der Unterstellung ausgingen, dass sie die legitimen Interessenvertreter der psychisch Kranken seien. Sie konfrontierten uns mit dem Vorwurf, dass sie die fürsorgliche Form der Entmündigung, die sie vor allem von sozialpsychiatrisch orientierten Professionellen erfahren würden, als besonders raffinierte Repression erleben würden. Warum würden wir sie, als die eigentlichen Expert*innen, nicht fragen, was für sie gut und richtig ist? Sie forderten das Recht auf Selbstorganisation und sie forderten vor allem auch die sozialpolitischen Ressourcen dafür.

Die Erschöpfungskrise der Psycholog*innen: Burnoutinflation

Das heute so prominente Thema Burnout fand damals erstmals Beachtung. In die deutsche Diskussion fand es unter dem Stichwort von den „hilflosen Helfern“ Eingang. Wolfgang Schmidbauer (1977) hatte mit diesem Titel einen Bestseller gelandet, als 5 Jahre später sein zweiter Band zum Thema „Helfen als Beruf“ (Schmidbauer, 1982) erschien, waren bereits – wie die Verlagswerbung herausstellte – 100.000 Exemplare verkauft. Da wurde ein Treffer gelandet, der der triumphalistischen Selbstinszenierung des Berufsstandes den Boden entzog. In den USA hatte Herbert Freudenberger (1974) das Thema Burnout zum Gegenstand einer ersten fachlichen Analyse gemacht und die Bücher von Cary Cherniss (1980) und Christina Maslach (1982) sind schnell zu wichtigen Quellen geworden. In der ersten großen Krise nach einer Phase des ungebremsten Auf- und Ausbaus psychosozialer Dienste war eine psychologische Deutungsfolie für Krisen im Berufsstand gegeben. Aber schon damals war uns bewusst, dass es nicht ausreicht, den Beginn einer dramatischen gesellschaftlichen Strukturveränderung psychologisch zu interpretieren (vgl. Keupp, 1987a). Der globalisierte Netzwerkkapitalismus, den Ulrich Beck (1986) damals als „Risikogesellschaft“ beschrieben hat, erforderte andere analytische Zugänge, die auch zunehmend vorgelegt wurden (genannt seien nur Autoren wie Zygmunt Bauman,2000, Manuel Castells, 1991, 1996 oder Anthony Giddens, 1995). Im Diskursfeld der Psychologie sind sie kaum angekommen. Durchgesetzt hat sich der Burnoutdiskurs.

Wir haben heute eine schon fast inflationäre Beschäftigung mit dem Thema Burnout, das im globalen Kapitalismus fast alle Berufsgruppen und auch die privaten Lebenswelten erreicht hat und es ist eindeutig, dass die helfenden Berufe an der Spitze der Erschöpfung rangieren. Reicht es in der Situation, uns gegenseitig mehr „Selbstsorge“ oder „Achtsamkeit“ zu empfehlen und entsprechende Kursangebote zu machen? So wichtig das in der Ausbildung von professionellen Helfer*innen ist und in allen Coaching- und Supervisionsangeboten vorkommen sollte, bleibt doch letztlich die Notwendigkeit, das psychosoziale Handeln in einen größeren gesellschaftlichen Kontext zu stellen und an der Überwindung der zunehmenden „Gesellschaftsblindheit“ oder „sozialen Amnesie“ der aktuellen Psychologie zu arbeiten.

3. Die Notwendigkeit von Gesellschaftsdiagnostik

Im Weiteren werde ich mich exemplarisch mit dem gesellschaftlichen Strukturwandel und dessen psychosoziale Konsequenzen beschäftigen. Z.B. könnte man fragen, wie sich die klassisch nachgewiesenen und aktuell erneut eher verschärft klar bestätigten korrelativen Verknüpfungen zwischen Armut und psychischen Störungen verstehen lassen. Oder das Gewalthandeln von Jugendlichen veranlasst uns immer wieder, nach den Ursachen und ihrer Beeinflussbarkeit zu fragen. Ein anderes mögliches Thema wäre ADHS. Eine neue Erhebung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung weist aus, dass bei 25% der Anlässe dafür, eine Beratung aufzusuchen, ADHS angegeben wird.

Ich beziehe mich exemplarisch auf das Thema Burnout und Depression.

Die uns vorliegenden epidemiologischen Daten, die immer stärker die Einschätzung stützen, dass die Depression zur Volkskrankheit Nr. 1 wird, legen die Frage nahe, was dafür die Ursachen sein könnten (vgl. dazu Keupp & Dill, 2010). Der Frankfurter Psychoanalytiker Heinrich Deserno schreibt dazu: „Seit etwa 15 Jahren zeichnet sich deutlich ab, dass Depressionen für den spätmodernen Lebensstil beispielhaft werden könnten, und zwar in dem Sinne, dass sie das Negativbild der Anforderungen beziehungsweise paradoxen Zumutungen der gesellschaftlichen Veränderungen darstellen und deshalb in besorgniserregender Weise zunehmen könnten, wie von der Weltgesundheitsorganisation hochgerechnet: Im Jahr 2020 sollen Depressionen weltweit und in allen Bevölkerungsschichten die zweithäufigste Krankheitsursache sein“ (2005, S. 288). Und die deutsche Stimme der WHO, Ilona Kickbusch, hat sich so zu diesem Thema geäußert: „Immer mehr Menschen haben mit einem immer schnelleren Wandel von Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen zu kämpfen. Sie können das Gleichgewicht zwischen Belastungs- und Bewältigungspotentialen nicht mehr aufrechterhalten und werden krank. Depression ist zum Beispiel nach den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation eine der wichtigsten Determinanten der Erwerbsunfähigkeit. (…) Schon heute sind weltweit ca. 121 Millionen Menschen von Depressionen betroffen. Denn unser Leben gewinnt zunehmend ‚an Fahrt‘, sei es zwischenmenschlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich oder im Informations- und Freizeitbereich“ (2005, S. 15).

Große Aufmerksamkeit hat Ehrenberg (2004) mit seiner Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen zunehmender Depressionsraten gefunden. In seinem Buch „Das erschöpfte Selbst“ will er zeigen, dass depressive Verstimmungen, Erschöpfung und Verzweiflung keine Unregelmäßigkeiten, sondern so etwas wie der unvermeidliche Schatten des karriere- und selbstverwirklichungssüchtigen Selbst der kapitalistischen Moderne um die Jahrtausendwende sind. Dieses Selbst wird gesteuert von der Annahme, dass alles möglich sei. Und dass es ausschließlich in seiner Verantwortung liege, aus der Fülle der Möglichkeiten das je eigene „gelingende“ Leben zu stricken. Ehrenberg hält diese Behauptung nicht für richtig, sondern für mächtig. Sie wirkt wie eine innere Stimme, die den Unzufriedenen allerorten hämisch einflüstert, dass es anders hätte kommen können, wenn sie nur die richtige Wahl getroffen hätten. Unter der Last der Verantwortung brechen die solcherart malträtierten Selbste oft zusammen. Die sich epidemisch ausbreitenden depressiven Störungen sind, so Ehrenbergs Diagnose, der folgerichtige Reflex auf eine Gesellschaft, die in immer größerem Maße von den Individuen fordert, ein kreatives, produktives und flexibles Selbst zu sein. Die Parole: „Machen Sie aus sich die Ich-AG!“ bringt die Verbindung aus Wertschätzung und Wertschöpfung des allzeit fähigen Individuums auf den Punkt. Das individuelle Selbst hat im selben Maß eine Aufwertung erfahren, wie bestimmte überkommene Normen an Orientierungskraft verlieren.

Auf Ehrenberg aufbauend hat Han (2010) die Gegenwartsgesellschaft als „Müdigkeitsgesellschaft“ charakterisiert. Das beginnende 21. Jahrhundert zeichne sich durch mentale Erkrankungen aus. Depressionen, Aufmerksamkeitsdefizite, Hyperaktivität, Borderline- und Burnout-Syndrome sind nicht mehr mit Antibiotika zu heilen wie die Krankheiten des historisch gewordenen «bakteriellen Zeitalters». Die neuronalen Verschiebungen können verstanden werden als eine große latente Müdigkeit, die sich auf der Hinterseite der globalen Hyperaktivität der Gegenwart festzusetzen beginnt. Während früher ein Infekt als ‘Anderes‘ und ‚Fremdes‘ erkannt und aus dem System herausgeschafft wurde, gibt es heute kein ‚Außen‘ mehr. Die Lebenswelten der müdigkeitskranken Menschen sind durchsetzt von innen, vom Zuviel des Gleichen. Die allgemeine Beschleunigung führt zur Erschöpfung als Grundzustand des Daseins. Der in den Hamsterrädern der Betriebsamkeit trabende Dauergestresste endet in einer Müdigkeit, die keine positive Potenz mehr hat. Um zu verstehen, wie es zu der „Gewalt der Positivität“ in unserem Inneren kommt, nimmt Han die Arbeitswelt in den Blick, die auf Eigenmotivation, Initiativgeist und Selbstverantwortung setzt: Die Disziplinargesellschaft, von der Stechuhr regiert, wurde von der Leistungsgesellschaft abgelöst, in der jeder sich konditioniert, als sei er sein eigener Unternehmer. Die „Negativität des Sollens“ hat sich zu einer viel effizienteren „Positivität des Könnens“ entwickelt. Obamas millionenfach reproduzierter Slogan „Yes, we can“ hat darin seine alptraumhafte Kehrseite. Das sich selbst ausbeutende Subjekt ist Täter und Opfer zugleich, Herr und Knecht in einer Person. Es führt einen Krieg gegen sich selbst und bleibt so oder so als dessen Invalide zurück. Nicht eine erschöpfte, sondern eine ausgebrannte Seele ist das Resultat.

Auf die Grenzen der „unternehmerischen Anrufung“ und des „Subjektivierungsregimes“ weist auch Bröckling (2007, S. 289) hin: „Weil die Anforderungen unabschließbaren sind, bleibt der Einzelne stets hinter ihnen zurück.“ Oder an anderer Stelle: „Im Unglück der Depressiven wird die Kluft zwischen dem Anspruch an die Individuen und ihren stets unzureichenden Anstrengungen sichtbar“ (ebd., S. 290). „Depressive Erschöpfung [ist] die dunkle Seite der auf Dauer gestellten Hyperthymie des unternehmerischen Selbst“ (ebd., S. 291). Diesen persönlichkeitsgefährdenden Grenzüberschreitungen des neoliberalen Aktivierungsregimes arbeiten Schule und Hochschule zu. Wie Freytag (2008) aufzeigt, werden sie unter tatkräftiger Mithilfe von Beratungsfirmen umgebaut. In ihrer ursprünglichen begrifflichen Bedeutung sollten sie Orte der Muße sein. Sie werden jetzt zu knowledge-factories für Funktionswissen; ihr persönlichkeitsbildender Ehrgeiz gilt dem unternehmerisch denkenden Selbstvermarkter, der unter den noblen Begriffen der „Selbstständigkeit und Souveränität“ die Fähigkeit zum Selbstvollzug heterogener Fremdinteressen erlernt: Im fortgeschrittenen Kapitalismus übernehmen die Beherrschten das Geschäft ihrer Beherrschung selbst.

Die sozialwissenschaftliche Forschung belegt schon seit Jahren, dass Subjekte in der globalisierten Gesellschaft ein hohes Maß an Identitätsarbeit leisten müssen (Keupp et al., 2013). Die zunehmende Erosion traditioneller Lebenskonzepte, die Erfahrung des „disembedding“ (Giddens, 1995), die Notwendigkeit zu mehr Eigenverantwortung und Lebensgestaltung haben Menschen in der Gegenwartsgesellschaft viele Möglichkeiten der Selbstgestaltung verschafft. Zugleich ist aber auch das Risiko des Scheiterns gewachsen. Vor allem die oft nicht ausreichenden psychischen, sozialen und materiellen Ressourcen erhöhen diese Risikolagen. Die gegenwärtige Sozialwelt ist als „flüchtige Moderne“ charakterisiert worden (Bauman, 2000), die keine stabilen Bezugspunkte für die individuelle Identitätsarbeit zu bieten hat und den Subjekten eine endlose Suche nach den richtigen Lebensformen abverlangt. Diese Suche kann zu einem „erschöpften Selbst“ führen, dass an den hohen Ansprüchen an Selbstverwirklichung und Glück gescheitert ist (Ehrenberg, 2004). Elisabeth Summer (2008), eine langjährig erfahrene Psychotherapeutin, die mit dem an Ehrenberg geschärften Blick ihren 10jährigen Klient*nnenstamm reanalysiert hat, zeigt deutlich, dass die ins Ich-Ideal verinnerlichten gesellschaftlichen Leistungs- und Selbstverwirklichungsideologien eine destruktive Dynamik auslösen können. Es handelt sich also nicht um eine „Krankheit der Freiheit“, sondern um die Folgen einer individuellen Verinnerlichung der marktradikalen Freiheitsideologien.

Psychotherapie könnte genau für solche Zusammenhänge eine wichtige seismographische Funktion haben. Sie arbeitet an den Krisen der Subjekte und ist damit konfrontiert, dass ihnen die Ressourcen fehlen, die sie zu ihrer Bewältigung bräuchten. Die Häufung spezifischer Krisen und Störungsbilder verweist aber über das einzelne Subjekt hinaus und macht es erforderlich, den kulturell-gesellschaftlichen Hintergrund zu beleuchten und zu benennen, der diese Krisen fördert. Die in den letzten Jahrzehnten registrierte Zunahme von Depressionen, Burnouterfahrungen, Borderline- oder Essstörungen belegt die Notwendigkeit, neben einer psychodiagnostischen auch eine gesellschaftsdiagnostische Einordnung vorzunehmen. Bei vielen der aktuell bedeutsamer werdenden Störungsbilder handelt es sich um Identitätskrisen, die auf veränderte gesellschaftliche Lebensbedingungen im globalisierten Netzwerkkapitalismus verweisen. Diese stellen Anforderungen an die alltägliche Identitätsarbeit dar, mit denen viele Menschen nicht mehr zurechtkommen.

Warum gibt es kaum einen gesellschaftsdiagnostischen Diskurs in den unterschiedlichen psychotherapeutischen Szenen und warum hat er auch in dem neuen Studiengang kaum eine Chance? Die für die Klinische Psychologie in ihrer stürmischen Anfangsphase so wichtige Distanzierung vom „medizinischen Modell“ und die Formulierung alternativer Blickweisen auf psychosoziale Probleme sind kaum mehr erkennbar. Auch hier könnte ein Blick zurück aufzeigen, wie kritische Diskurse im Mahlwerk des professionellen Konkurrenzkampfes und der Pfründesicherung erlahmt und zunehmend verstummt sind.

4. Die Überwindung des „medizinischen Modells“ als Voraussetzung für Gesellschaftsdiagnostik

Der kulturrevolutionäre Zweifel, aus dem die Student*innenbewegung ihre kritische Potenz bezog, sah in dem vorherrschenden Krankheitsbegriff ein Disziplinierungsmittel, mit dem alle Widerstandsformen gegen die Eindimensionalität der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung erstickt werden sollten. Zentral war die „Befreiung“ aus dem paradigmatischen Gefängnis des „medizinischen Modells“. Es entstand eine bemerkenswerte Resonanz für die Debatten um Normalität und Abweichung und für „gute Gründe“ in einer „verrückten Gesellschaft“ verrückt zu werden. Es gab einen Diskurs zur Überwindung (klein-)bürgerlicher Normalitätsgehäuse und die „Verrückten“ wurden als Avantgarde idealisiert, die sich bereits auf eine „Reise“ begeben hatten, auf der wir ihnen möglichst bald nachfolgen sollten.

Herbert Marcuse war für die Debatten der damaligen Zeit einer der wichtigsten Ideengeber. Wiederentdeckt wurde damals ein Vortrag von ihm (Marcuse, 1968), in dem er 1956 auf einem Kongress amerikanischer Psychiater die Frage stellte, ob angesichts der Irrationalität der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in Rüstung, Verkehr, Umweltzerstörung und Ausbeutung ein historisch einmaliges Destruktionspotential entfalten, die Anpassung daran als Pathologie der Normalität zu bezeichnen wäre und nicht das Verweigern der Anpassung als psychisch krank.

Nur eingebettet in diesen intensiven fachlichen und politischen Kampf um eine angemessene Sicht auf psychosoziales Leid wird verständlich, wie leidenschaftlich die Kontroverse um das „medizinische Modell“ geführt wurde (Keupp, 1972, 1979).

4.1 Die Dekonstruktion des „medizinischen Modells“

Eröffnet wurde diese Kontroverse durch einen Aufsatz, den Thomas S. Szasz 1960 im wichtigen Fachorgan der „American Psychological Association“ (APA), dem American Psychologist, publizierte. Szasz, psychoanalytisch ausgebildeter Psychiater an der State University of New York, löste eine intensive Diskussion um das bislang vorherrschende Krankheitsmodell in der Psychopathologie aus. Seine Kritik hatte eine doppelte Zielrichtung: Einerseits bestritt er die Berechtigung, ein biomedizinisches Modell auf das menschliche Handeln zu übertragen. Das sei erkenntnistheoretisch nicht vertretbar, weil es das Handeln biologistisch verkürze. Außerdem sei es ethisch fragwürdig, weil es dem Subjekt die Handlungsfreiheit abspreche. Andererseits machte er das „medizinische Modell“ verantwortlich für eine höchst fragwürdige gesellschaftliche Rolle der Psychiatrie, die die Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte und Widersprüche, die seiner Auffassung nach das Leiden der Menschen erzeugten, verhindere. Dadurch würde sie die Funktion eines „sozialen Tranquilizers“ übernehmen, der verhindere, dass Konflikte bearbeitet und ausgetragen würden. Insofern leiste sie einen fragwürdigen Beitrag, den gesellschaftlichen Status quo zu sichern.

Diese Doppelbotschaft, erkenntnistheoretisch und herrschaftskritisch zugleich, hat Szasz in den 1960er und 1970er Jahren eine große Resonanz verschafft, zumal er ein Buch nach dem anderen schrieb. Sie alle sollten seine ursprüngliche Kernkritik weiter ausformulieren.

  1. Anschlussfähig waren seine Argumente sowohl für die sich entwickelnde Klinische Psychologie und vor allem für die expansiv auftretende Verhaltenstherapie, die sich ein eigenständiges Fachprofil in klarer Absetzung vom „medizinischen Modell“ erhoffte (exemplarisch sei das Lehrbuch von Ullman & Krasner, 1969, genannt). Wenn man sich von einer naturgeschichtlich gedachten Biogenese psychischen Leids mit guten Argumenten absetzen kann, dann haben psycho- und soziogenetische Zugänge eine große Durchsetzungschance. Die deutsche Übersetzung des Szasz-Klassikers in dem von mir herausgegebenen Sammelband Der Krankheitsmythos der Psychopathologie (Keupp, 1972) ist auch in der deutschen Fachliteratur zur Klinischen Psychologie fast schon rituell zitiert worden. Die Klinische Psychologie hat ihn zur Festigung der eigenen psychologischen Fachidentität sehr gut aufnehmen können. Umso deutlicher sich die Möglichkeit abzeichnete, ein psychosoziales Störungsmodell als Alternative zu entwickeln, desto selbstbewusster ist dann auch die kritische Differenz zum „medizinischen Modell“ formuliert worden. Gestützt auf eine etwas naive Rezeption des Paradigmakonzeptes des Wissenschaftsforschers Thomas Kuhn wurde dann auch die scheinbare Unvereinbarkeit unterschiedlicher Sichtweisen auf psychisches Leiden betont, um den eigenen Weg zu schützen oder vielleicht auch zu immunisieren (Keupp, 1974). Allerdings entstand nicht nur ein Alternativkandidat, sondern aus den unterschiedlichen psychologischen Strömungen und der Soziologie sind mehrere Modellvarianten entwickelt worden, die dann auch in der Lehrbuchliteratur nebeneinander zur Darstellung kamen. So werden bei Price (1978) neben der Krankheitsperspektive auch die psychoanalytische, die lerntheoretische, die soziale und die humanistische Perspektive ausführlich dargestellt. Schon im Titel des Buches wird der Konflikt zwischen den Perspektiven formuliert. Es waren Konflikte, die nicht selten den Charakter von Glaubenskriegen annahmen.1 In sich wechselseitig abschottenden „Schulen“ konnte die jeweils bestimmende Sicht in einem sich selbst bestärkenden Mechanismus gefestigt werden.
  2. Einem Wissenschaftsverständnis, das auf ontologische Wahrheiten ausgerichtet war – und so wurden auch die Krankheitseinheiten der Psychopathologie verstanden –, wird von Szasz ein konstruktivistisches Wissenschaftsmodell entgegengesetzt. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit war vor allem durch die Soziologie (Berger & Luckmann, 1982) und durch die Philosophie (Searle, 2011) zu einer wichtigen Analyseperspektive geworden. Wir haben diese Perspektive geschätzt, weil sie die Möglichkeit eröffnet hat, starre Welt- und Fachinterpretationen zu dekonstruieren und die Frage zu stellen, welche soziokulturellen Kontextbedingungen die Bedeutungen aufladen, die wir Subjekten und ihrer Welt zuschreiben. Und zugleich enthält diese Perspektive auch die Möglichkeit, alternative Bedeutungszuschreibungen zu entwickeln und für ihre Geltung zu kämpfen. Das ließ sich an dem Kampf der schwul-lesbischen community exemplarisch beobachten, die erfolgreich dafür kämpfte, dass homosexuelles Begehren aus dem pathologischen Abseits herausgeholt werden konnte.
  3. Die Kritik am medizinischen Modell wurde auch durch Forschungsbefunde aus der transkulturellen Psychiatrie und der Ethnopsychoanalyse gestützt. In der deutschen Debatte war vor allem Erich Wulff (1969) von überragender Bedeutung, der als junger deutscher Psychiater nach Vietnam ging und dort die Erfahrung machte, dass die Kernsymptome etwa der Schizophrenie, wie er sie in seiner westdeutschen Sozialisation zu diagnostizieren gelernt hatte, in Vietnam nicht genauso verstanden und eingeordneten wurden. Die europäische Sicht des Individuums, das eine klare und abgegrenzte Ichvorstellung unterstellt, führt dazu, Personen, die diese Vorstellung nicht entwickelt haben, als psychisch krank zu benennen. In Vietnam hingegen werden Menschen, die sich durch ihre Individualitätskonstruktionen aus dem kulturellen Kollektiv herauslösen, als psychisch krank eingeordnet. Erich Wulff konnte zeigen, wie stark die gesellschaftlichen Produktionsbedingungen die Vorstellungen von Normalität und Devianz bestimmen. Er hat damit eine intellektuelle Alternativsicht zu dem Mainstream seiner eigenen Profession ermöglicht, die von der universellen Gültigkeit ihrer Krankheitseinheiten ausging und sich dabei gerne auf Emil Kraepelin beruft, der als der Begründer der modernen psychiatrischen Nosologie gilt. Er war 1904 in Java und kam mit der Überzeugung zurück, die „dementia praecox“, die dann Eugen Bleuler 1911 Schizophrenie nannte, sei in Indonesien nicht anders als in Europa.
  4. Einer herrschaftskritischen Sichtweise der Psychiatrie und auch der traditionellen Klinischen Psychologie hat der Text von Szasz insofern eine wichtige Steilvorlage geliefert, als er ein theoretisches Modell nicht nur als kognitiv-wissenschaftliche Figur kritisierte, sondern auch seine gesellschaftlich-politischen Konsequenzen thematisierte. Diese wurden zwar im Text noch relativ allgemein formuliert, boten aber eine gute Anschlussmöglichkeit, um die problematischen institutionellen Folgen einer biologistischen Sicht auf die Subjekte zu analysieren. So war es möglich, die institutionellen Muster „totaler Institutionen“ (Goffman, 1972) und deren Folgen für psychiatrische Patient*innen zu identifizieren, die die klassische Psychopathologie umstandslos als integralen Bestandteil des Krankheitsverlaufes interpretierte. Die empirischen Studien zu den Hospitalisierungsschäden in psychiatrischen Krankenhäusern (vgl. Finzen, 1974) lieferten für diese Dekonstruktion genügend praktische Belege. Sehr prominent wurde in dieser Zeit die „Labeling-Perspektive“. Diese thematisiert und untersucht die jeweils für eine Gesellschaft typischen institutionellen Reaktionsmuster auf abweichendes Verhalten und wie diese den „Karriereverlauf“ einer Devianz durch ihren spezifischen Prägestempel erheblich mitbestimmt (Keupp, 1976). Als praktische Konsequenz aus solchen Einsichten wurde die Frage nach alternativen institutionellen Hilfsangeboten immer drängender – in einer Vielzahl unterschiedlicher Reformprojekte hat sie auch experimentelle Antworten gefunden.2

Es waren leidenschaftliche Kontroversen, die wir damals ausgetragen haben. Je mehr aber die Arbeit an praktischen Reformalternativen in der Sozialpsychiatrie und der Klinischen Psychologie an Bedeutung gewann, desto weniger spielte das Ringen um die besseren Modelle eine Rolle. Es ging immer noch um Alternativen zum traditionellen Krankheitsmodell, aber es ging um eher pragmatische Kompromisse zwischen unterschiedlichen psychologischen Schulen und um mögliche Synergieeffekte unterschiedlicher Paradigmen. Zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie gab es anfangs fast nur Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Zunehmend tauchte aber auch die Frage auf, was und wie sie wechselseitig voneinander profitieren und ob sie nicht in einer gemeinsamen klinischen Handlungstheorie aufgehen könnten (Keupp & Kraiker, 1977).

4.2 Das „biopsychosoziale Modell“ als Sicherung der biogenetischen Dominanz

Die Diskussion um das „medizinische Modell“ war jetzt an einem Punkt angelangt, wo sie noch einmal resümiert werden konnte – von George L. Engel, einem renommierten amerikanischen Psychiater und Psychosomatiker. In seinem Artikel wird die reduktionistische Tendenz des traditionellen Krankheitsbegriffs kritisiert und festgehalten, dass er ,,… den wissenschaftlichen Aufgaben und der sozialen Verantwortung von Medizin“ nicht mehr gerecht werde (Engel, 1977, S. 64). Ausgangspunkt seiner Argumentation war der Begriff Krankheit. Dieser lege ,,die Grenzen angemessenen professionellen Handelns" fest und beeinflusse ,,die Einstellung zu und den Umgang mit den Patienten" (Engel, 1977, S. 64). Seine Kritik zielt im Kern darauf, dass Krankheit im biomedizinischen Modell nur durch somatische Parameter definiert werde, was in der Konsequenz bedeute, dass bei seiner solchen professionellen Perspektive psychosoziale Probleme ausgeblendet oder als irrelevant beiseitegelassen würden. Engel forderte deshalb, dass psychologische, soziale und kulturelle Faktoren besonders berücksichtigt werden sollten. Er erachtete die Lebensumstände als bedeutsame Variable, die den Krankheitsverlauf beeinflusste. Zudem betonte er, dass die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit bei Weitem nicht klar seien und es auch niemals sein würden, denn sie würden durch kulturelle, soziale und psychologische Erwägungen verwischt. Schon begrifflich wird die Trias zentraler menschlicher Basisbedingungen genannt: Bios, Psyche und Soziales. Dieser Vorschlag entsprach auch den Kooperationsformen zwischen unterschiedlichen Professionen, die sich in der Sozial- und Gemeindepsychiatrie herausbildeten. In den ambulanten sozialpsychiatrischen Einrichtungen wurden Ärzt*innen, Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen zu multiprofessionellen Teams zusammengeführt. Hier konnte es nicht mehr um Dominanzkultur eines spezifischen disziplinären Blicks gehen. Vielmehr konnten sich über solides Kooperationswissen aller Beteiligten handlungspraktisch tragfähige gemeinsame Sichtweisen entwickeln. Aus einem dogmatischen „monotheistischen“ Störungsverständnis war zunehmend eine tolerante „polytheistische“ Perspektive entstanden (vgl. etwa das plurale Spektrum bei Jaeggi, Rohner & Wiedenmann, 1990, oder Franke, 2006). Das lässt sich durchaus auch an der Entwicklung der internationalen Klassifikationssysteme wie ICD-10 oder DSM-V ablesen. Sie konstruieren eine Zusammenschau unterschiedlicher Achsen, wobei nicht nur biologisch-neurologische Fakten, sondern auch entwicklungspsychologische und soziale Kontextbedingungen einbezogen werden. Die frühe Forderung nach mehrfaktoriellen Modellen schien damit erfüllt zu sein.

Hat Engel mit seinem Vorschlag einen historischen Kompromiss ermöglicht? Auf dem Feld der theoretischen Fechtübungen mag das so gewesen sein. Die Paradigmakontroversen flauten ab, und es zeichneten sich deutlich handlungspragmatische Lösungen ab, in denen die „heiligen Kriege“ um die Wahrheit nicht mehr so bedeutsam waren. Das mag als Fortschritt gewertet werden, aber der Verlust einer lebendigen Auseinandersetzung gerade und besonders auch im psychotherapeutischen Kontext hat der zunehmenden Medikalisierung zu einer kaum zu übersehenden Dominanzkultur verholfen. Eine organisierte Widerständigkeit dagegen hat sich nicht formiert.

Das renommierte naturwissenschaftliche Journal Nature ruft im ersten Januarheft 2010 eine „Dekade für psychiatrischer Störungen“3 aus. Begründet wird diese Priorität damit, dass psychische Störungen wie Schizophrenie und Depressionen die vorherrschenden Störungen der Altersgruppe von 15 bis 44 Jahre ausmachten. Hinzu kommt die wachsende Anzahl von ADHS-Diagnosen bei Kindern. Die Behandlung dieser Störungen machen etwa 40 % der medizinischen Kosten in den USA und Canada aus. Die biologische Psychiatrie reklamiert für sich die zeitgemäßen Erklärungen und Therapien!

Die DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) bezieht sich ausdrücklich auf diese Position von Nature und fordert 2010 ein „Deutsches Zentrum für Psychische Störungen“. Begründet wird diese Forderung so: Die psychischen Störungen seien eine Volkskrankheit, die sich in den modernen Gesellschaften sukzessiv ausweiteten. Die Zeit sei reif für eine wissenschaftliche Revolution! Was darunter genau zu verstehen ist, wird von wichtigen Vertretern der DGPPN so ausgeführt:

„Die rasche Entwicklung von Forschungsmethoden in der Genomik (parallele Erfassung einer Vielzahl von genetischen und funktionellen Varianten) und Bildgebung haben unser Wissen über psychische Krankheiten in relativ kurzer Zeit enorm bereichert. So wurden auch neue Methoden in die Psychiatrie übernommen, so z.B. die genetische Epidemiologie, die systemischen Neurowissenschaften, funktionelles Neuroimaging, Genomic Imaging oder Proteomik. Ein erheblicher Erkenntniszuwachs resultiert auch aus der Entwicklung von innovativen Tiermodellen. Ein weiterer zukünftiger Entwicklungsschritt ist von der Stammzelltechnologie zu erwarten, mit welcher zellbiologische Modelle für psychische Erkrankungen entwickelt werden könnten“ (Schneider, Falkai & Maier, 2012, S. 14).

Hat diese Programmatik noch etwas gemeinsam mit dem biopsychosozialen Modell von George L. Engel? Wo ist der Bezug auf die psychische Situation, die sozialen Lebensbedingungen und auf ökologische Systemfaktoren? Bei aller Begeisterung für die Biosphäre der menschlichen Existenz, die durch die Neurowissenschaften und die Genforschung ausgelöst wurde, fragt man sich, ob denn auf dieser Grundlage etwa die Zunahme von Burnout und Depressionen oder Zuwachsraten bei den ADHS-Diagnosen erklärt werden können. Und es stellt sich die Frage, ob angesichts eines offensiven Re-Biologisierungsprozesses in der Psychiatrie und zunehmend auch in der Psychologie die von Engel vorgeschlagene Balance zu Ungunsten der Sozialwissenschaften verloren geht und deshalb jetzt eine selbstbewusste sozialwissenschaftliche Initiative im Sinne einer expliziten „Gesellschaftsdiagnostik“ (Keupp, 2013) notwendig ist und eine „Re-Sozialisierung“ von Normalität und Abweichung.

4.3 Wissen über Soziogenese

Die internationale sozialwissenschaftliche Fachdiskussion hat in den letzten Jahren ganz intensiv die Diskussion über soziale Bedingungen psychischer Gesundheit und psychischen Leids aufgenommen (vgl. Avison, McLeod & Pescosolido, 2008; Cockerham, 2007; Parr, 2008; Pilgrim, Rogers & Pescosolido, 2011; Scheid & Brown, 2010). Auch die Frage nach den Grenzen des „medizinischen Modells“ wird aufgegriffen (z.B. Kiesler, 2000), die „Dekonstruktion“ der klassischen Psychopathologie wird fortgesetzt (Parker et al., 1995), die Diskussion um das, was eine „psychische Krankheit“ ist bzw. als solche konstruiert wird, wird intensiv geführt (vgl. Leader, 2011; McNally, 2011; Scull, 2011), durchaus auch mit dem Blick auf die Verknüpfung von sozialen, psychischen und biologischen Aspekten (z.B. Read, Mosher & Bentall, 2004). Auch gesellschaftliche Gegenwartsbezüge werden aufgenommen und zu der Frage geführt, worin denn in einer postmodernen Gesellschaft überhaupt noch die klassische Unterscheidung zwischen Normalität und Abweichung bestehen könnte (vgl. Welsch, 1990; Fee, 2000).

Ein neuer Höhepunkt in dem revitalisierten Medikalisierungstrend ist mit dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) erreicht, an dessen Entwicklung nicht nur Klinische Psychologen stolz mitgewirkt haben, sondern das in seiner immer weiter in den Alltag eingreifenden Pathologisierungshaltung auch in der psychiatrischen Fachszene heftige Kritik ausgelöst hat. Exemplarisch dafür steht die Streitschrift von Allen Frances (2013), die unter dem Titel Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen in deutscher Sprache erschien. Frances, ist kein psychiatriekritischer Geist, sondern gehört zum fachlichen Establishment und war verantwortlicher Vorsitzender der Kommission, die DSM-IV erarbeitet hatte. Der Autor reflektiert seine eigene frühere Rolle und zeigt auf, wie problematisch es ist, wenn neue Krankheitsbilder konstruiert werden, die dann vor allem der Pharmaindustrie neue Profitmöglichkeiten eröffnet. Bei DSM-5 sieht er vor allem die Gefahr, dass zum Alltag und zum menschlichen Leben gehörende Sorgen und Gefühlslagen zu psychischen Krankheiten umgedeutet werden (vgl. die kritischen Analysen von Greenberg, 2013; Burstow, 2015).

Angesichts dieser Entwicklung ist eine selbstbewusste sozialwissenschaftliche Initiative im Sinne einer expliziten „Gesellschaftsdiagnostik“ (Keupp, 2013) notwendiger denn je. Der unverzichtbare Beitrag der Sozialwissenschaften lässt sich exemplarisch an der Auseinandersetzung aufzeigen, warum die Depression – bis hin zur Weltgesundheitsorganisation – als „Volkskrankheit Nr. 1“ bezeichnet wird. Der Buchtitel von Alain Ehrenberg (2004), Das erschöpfte Selbst, ist zum nichtfachlichen Synonym für den Zustand der Depression geworden, aber nicht im Sinne einer vermeintlich kontextfreien psychopathologischen Diagnostik, sondern als Teil einer Gesellschaftsdiagnostik, die einen Zusammenhang zwischen subjektiven Erfahrungen und gesellschaftlichen Entwicklungen herstellt. Auch weitere aktuelle Bücher versuchen, die Depression in ihrer zeitdiagnostischen Bedeutung aufzuzeigen. Es häufen sich auch seriöse Analysen, die eher sorgenvoll beleuchten, dass eine vorschnelle Medikalisierung oder Klinifizierung genau diesen zeitdiagnostischen Gehalt verhülle (Blazer, 2005; Conrad, 2007; Horwitz & Wakefield, 2007, 2012; Summer, 2008; Greenberg, 2010; Fein, 2012).

4.4 Von der Notwendigkeit Normalität und Abweichung weiterhin zu reflektieren

In der Geschichte der Diskurse über Normalität und Abweichung haben sich charakteristische Verschiebungen der Deutungsmächte vollzogen. Solange Abweichung von der Norm als Verletzung einer Ordnung angesehen wurde, die einem göttlichen Schöpfungsplan folgt, gab es eine religiöse Deutungsdominanz. Mit der Verwissenschaftlichung des Devianzfeldes wurden höchst unterschiedliche Erklärungsmodelle für Abweichungen von der Norm formuliert. Das „Pathologiemodell“ unterstellte spezifische Krankheitsursachen und -einheiten und suchte seine Gewissheiten über naturwissenschaftliche Erklärungen zu gewinnen. Die psychogenetischen Modelle haben unterschiedliche biographische Entwicklungsverläufe oder Lerngeschichten entwickelt, um Normalitätsverfehlungen erklären zu können. Erweitert werden diese noch durch soziogenetische Konzepte, die Devianzentstehung aus den sozialen Lebensbedingungen heraus plausibel machen. Diese Modelle haben sich mit ihren jeweiligen Alleinvertretungsansprüchen heftig bekämpft. Inzwischen hat sich auf breiter Grundlage eine konstruktivistische Perspektive durchgesetzt, die allen Wahrheitsansprüchen den Boden entziehen und Devianzkategorien den Status pragmatisch sinnvoller Konstrukte geben, die den zuständigen Professionen Kommunikations- und Handlungssicherheit geben sollen. Von Bedeutung ist nicht mehr die „Wahrheit“ von Normalität und Abweichung, sondern das Interventionspotential: Welche therapeutischen, beraterischen oder korrektiven Maßnahmen können oder sollen eingeleitet werden, um den Störungswert eines Verhaltens oder Erlebens so zu verändern, dass sie den normativen Erwartungen innerhalb einer jeweiligen Kultur besser entsprechen.

Gibt es aber in pluralen Gesellschaften überhaupt noch einheitliche Normalitätsstandards oder besagt nicht die Feststellung, dass wir uns in einer postmodernen Gesellschaft befinden, dass „anything goes“? Innerhalb einzelner Lebenswelten und Milieus gibt es meist sehr klare Vorstellungen, für das, was als Normalität und Abweichung angesehen wird und hier entsteht dann auch der Ausgrenzungsdruck auf Menschen, die den Erwartungen nicht entsprechen, oder der Leidensdruck bei Personen, die den Erwartungen nicht entsprechen können, obwohl sie genau dies wollen.

Wenn Normalität und Abweichung als soziale Konstruktionen rekonstruiert werden können, dann können sie zugleich auch „dekonstruiert“ werden. Dekonstruktion kann als „konstruktive Zerstörung und Demystifikation“ angesehen werden. In aller Regel sind diese dekonstruktiven Prozesse eingebunden in soziale Bewegungen, die die soziale Wahrnehmung und die gesellschaftliche Stellung spezifischer Gruppen verändern wollen (von der Frauen-, der Schwulen- und Lesbenbewegung bis zur Behindertenbewegung). Wenn sie erfolgreich sind, wie im Falle der Schwulenbewegung, dann gelingt es, eine sexuelle Orientierung, die über Jahrzehnte als pathologische Abweichung galt, in das Diskursfeld der Normalität zu verschieben.

Es gibt gute Gründe, sich von der Polarität von Normalität und Abweichung zu verabschieden und mehr danach zu fragen, welche Ressourcen Menschen in spezifischen Lebenssituationen brauchen, um zu einer souveränen Lebensführung zu gelangen.

5. Abschluss und Reflexionsanstöße

Man könnte abschließend feststellen, dass die kritischen Diskurse der vergangenen Jahrzehnte folgenlos geblieben sind und jetzt mit dem neuen Psychotherapiegesetz eine institutionelle Abschlussfigur gebaut wurde, die als Grabstein der Reformbewegungen wahrgenommen werden könnte. Aber dieser Pessimismus entspricht nicht meiner Position. Die kritischen Diskurse habe zwar keine institutionelle oder professionelle Heimat, dafür aber Resonanz in multiplen Welten. Zu nennen sind hier die Gemeindepsychologie, die vielen Beratungsstellen, in denen Psycholog*innen ihre Anstellung haben, Soziale Arbeit und Sozialpädagogik an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die Sozialpsychiatrie und Public Health.

Und vielleicht lassen sich auch in den Curricula der neuen Ausbildungswege zur Psychotherapie Inhalte unterbringen, die eine kritische Reflexion ermöglichen und vielleicht sogar gesellschaftsdiagnostische Kompetenzen und Wissensbestände einbinden. Dazu seien hier einige Reflexionsanstöße formiert:

  1. Subjekte einer individualisierten und globalisierten Netzwerkgesellschaft können in ihren Identitätsentwürfen nicht mehr problemlos auf kulturell abgesicherte biographische Schnittmuster zurückgreifen. In diesem Prozess stecken ungeheure Potentiale für selbstbestimmte Gestaltungsräume, aber auch die leidvolle Erfahrung des Scheiterns. Psychotherapie kann für Subjekte ein hilfreiches Angebot sein, sich in diesen gesellschaftlichen Umbruchprozessen Unterstützung bei einer Neuorientierung, Reflexion und Selbstorganisation zu holen, sie kann aber auch „Trainingslager“ für Fitness im Netzwerkkapitalismus liefern. Sie stellt einen Rahmen der „inneren Modernisierung“ dar, aber die Frage, was in diesem Rahmen Emanzipation oder Affirmation sein kann, bleibt auf der Tagesordnung.
  2. Psychotherapie kann und soll Gesellschaftsdiagnostik betreiben und diese im öffentlichen Raum kommunizieren: Die in den privatisierten und individualisierten Problem- und Leidenszuständen der Subjekte enthaltenen gesellschaftlichen Hintergründe kann man entschlüsseln und sichtbar machen. Dies ist auch die Voraussetzung für sinnvolle Projekte der Prävention und Gesundheitsförderung.
  3. Psychosoziale Probleme von Menschen brauchen einen interpretativen Bezug zu ihren objektiven Lebensbedingungen und ihren lebenslaufspezifischen Entstehungs- und Bewältigungskontexten. Ein biomedizinischer Krankheitsbegriff ist kritisch als das zu benennen, was er bewirkt: eine reduktionistische Ausblendung so wichtiger Faktoren wie soziale Ungleichheit, geschlechtsspezifische Erfahrungen, Armut, Rassismus, Stigmatisierung und Exklusion.
  4. Ich sehe für die Psychotherapie die Notwendigkeit, ihr Rollenverständnis nicht auf eine operative Dienstleistung reduzieren zu lassen. Sie benötigt eine Vorstellung davon, für welche Gesellschaft sie mit ihren Kompetenzen einsteht. Will sie Individuen anpassungsfähiger und -bereiter machen und will sie deren Fitness steigern oder ihre „Widerstandsressourcen“ (Antonovsky, 1997) oder Resilienz fördern, die Distanz und Handlungsfähigkeit gegen die normativen Imperative des „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling, 2007) ermöglichen.
  5. Die Psychotherapie benötigt eine kritische Reflexion ihrer eigenen Menschenbildannahmen. Eine Reihe psychotherapeutischer Technologien verdanken sich der Ideologie des Neoliberalismus, sie setzen auf ein Selbstoptimierungsschema, das den einzelnen zum Dreh- und Angelpunkt von Selbstinszenierung und Selbstverantwortung macht. Einer ideologisch-theoretischen „Entbettung“ des Subjektes folgt meist eine therapeutisch-praktische. Es wäre den unterschiedlichen psychotherapeutischen Schulen ein Menschenbild zu wünschen, wie es in der Ottawa Charta (Weltgesundheitsorganisation, 1986) formuliert wurde: „Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen“.
  6. Lange Zeit haben die westlichen Industriegesellschaften dem Thema sozialer Ungleichheit im Zugang zu psychosozialen Ressourcen keine große Beachtung mehr geschenkt, obwohl die Ergebnisse der Forschung keinen Anlass boten, die frühere Relevanz dieser Fragestellung aus dem Blickfeld zu verlieren. In den 70er und 80er Jahren wurde die Notwendigkeit gemeindepsychiatrischer Reformmaßnahmen und einer Verbesserung der psychotherapeutischen Basisversorgung unter anderem mit folgender dramatischen Scherenentwicklung begründet: Einerseits häuften sich die Befunde, dass psychisches Leid in hohem Maße mit gesellschaftlicher Ungleichheit korreliert ist, also Angehörige der unterprivilegierten sozialen Schichten die höchsten Störungsraten aufweisen; andererseits entwickelte sich ein gewaltiges psychotherapeutisches Angebot, von dem offensichtlich genau die Menschen am wenigsten profitierten, die das höchste Störungsrisiko zu tragen haben. Die verfügbaren sozialepidemiologischen Daten konnten diese Einschätzung beweiskräftig untermauern. Ist das Thema soziale Ungleichheit aus dem fachlichen Aufmerksamkeitszentrum verschwunden, weil soziale Unterschiede an Bedeutung verloren haben und allmählich die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ entstanden ist, die schon von einigen konservativen Ideologen in den 50er Jahren verkündet worden war? Empirisch spricht für diese Deutung nichts. Plausibler dürfte die Erklärung sein, dass die Psychotherapie in ihrem Aufmerksamkeitsverlust für kollektive Lebenslagen in besonderem Maße an der Erosion kollektiver Erfahrungs-, Wahrnehmungs- und Erlebnisweisen teil hat, die auf die weitreichenden gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse zurückzuführen sind. In diesen Prozessen wird nicht der objektiv ungleiche Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen aufgehoben, aber das gesellschaftliche Bewusstsein für diese Ungleichheit verändert sich. Diese individualisierende Verkürzung steht im Widerspruch zu einer wachsenden Ungleichheitsverteilung der materiellen Güter im globalisierten Kapitalismus und wir haben eindrucksvolle Belege für deren gesundheitspolitische Relevanz. Menschen, die in relativer Armut aufwachsen, haben in Bezug auf alle uns verfügbaren Gesundheitsindikatoren schlechtere Chancen. Es kommt noch eine weitere Dimension hinzu: Gesellschaften, in denen die Schere zwischen arm und reich besonders groß ist und insofern die Erwartung einer gerechten Verteilung der vorhandenen Ressourcen immer weniger erfüllt wird, haben epidemiologisch nachgewiesen die höchsten Morbiditätsraten (vgl. das eindrucksvolle Buch von Wilkinson, 2001).
  7. Es mag in manchen Ohren altmodisch klingen, aber ich halte diese Einordnung aus: Es sollte immer noch die Förderung von Emanzipation und Aufklärung Ziel unserer Aktivitäten sein. Das ließe sich philosophisch mit Kant begründen, dann würden wir von dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ sprechen. Etwas handhabbarer ist das aktuelle Konzept der „Verwirklichungschancen“ oder „Capabilities“ wie es von dem Nobelpreisträger Amartya Sen und seiner Lebenspartnerin Martha Nussbaum entwickelt worden ist. Amartya Sen (2000) knüpft mit seinem Konzept der „Verwirklichungschancen“ einerseits an der Idee der Freiheit und an den gesellschaftlichen Bedingungen an, die zur Realisierung von eigenen Lebensvorstellungen erforderlich sind. Unter Verwirklichungschancen versteht er die Möglichkeit von Menschen, „bestimmte Dinge zu tun und über die Freiheit zu verfügen, ein von ihnen mit Gründen für erstrebenswert gehaltenes Leben zu führen“ (S. 108); an anderer Stelle bestimmt er sie als „Ausdrucksformen der Freiheit: nämlich der substantiellen Freiheit, alternative Kombinationen von Funktionen zu verwirklichen (oder, weniger formell ausgedrückt, der Freiheit, unterschiedliche Lebensstile zu realisieren)“ (S. 95). Der Ökonom Sen betont die Bedeutung materieller Grundvoraussetzungen als Verwirklichungschance, aber es kommen weitere Ressourcen hinzu, nicht zuletzt auch das, was Kant mit seiner „Empowerment“-Aussage angesprochen hat: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Ist das nicht auch ein Appell für uns Psychofachleute?

Endnoten

  1. So hat der Direktor einer renommierten psychiatrischen Forschungsinstitution in den 1970er Jahren verlauten lassen, dass bei ihm kein Psychologe eine Chance hätte, der sich mit der Kritik am „medizinischen Modell“ identifiziere.
  2. Die Rolle, die die Publikationen von Szasz in der Aufbruchszeit der Psychiatriereform hatte, ist unbestritten. Er hat seine Argumente in einer fast hektischen Publikationstätigkeit bis in die jüngste Zeit immer wieder vorgetragen. Der im 92. Lebensjahr 2012 Verstorbene publizierte z.B. 2007 The Medicalization of Everyday Life, 2008 Psychiatry. The Science of Lies, 2009 Antipsychiatry. Quackery Squared, 2011 Suicide Prohibition: The Shame of Medicine. Sein Ansehen hat allerdings gewaltig gelitten, als bekannt wurde, dass er – laut Wikipedia – „zusammen mit der Scientology-Organisation die amerikanische ‚Citizens Commission on Human Rights’ (CCHR)“ gründete. Er distanzierte sich von dem Eindruck, dass diese Zusammenarbeit mehr als ein Zweckbündnis ist und dass er selbst Scientologe sei. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Szasz#cite_note-3. Vgl. auch Bracken & Thomas (2010). Meine eigene Distanz zu ihm rührt von einer Veranstaltung an der Münchner Universität. Als ich in den 80er Jahren hörte, dass er in München sei, habe ich mich um eine Diskussionsveranstaltung mit ihm bemüht, die dann auch einen großen Zulauf fand. Es kam vor allem die Sozialpsychiatrieszene zusammen. Von ihr kamen vor allem Fragen zu dem Aufbau ambulanter Alternativen zu den immer noch bestehenden Großkliniken. Zu unserer Überraschung und zunehmenden Empörung qualifizierte er die Sozialpsychiatrie als staatliches Repressionsinstrument. Für ihn gab es eine positive Bewertung allein für das, was er als autonomen Vertrag zwischen Menschen, die Lebensprobleme haben, und einem unternehmerisch tätigen Psychotherapeuten nannte.
    In meiner Naivität hatte ich gar nicht recherchiert, wer Szasz nach Deutschland eingeladen und alle Kosten für Reise und Aufenthalt übernommen hatte. Es konnte nur Scientology gewesen sein!
  3. Editorial „A decade for psychiatric disorders“. Nature, 463, Issue no. 7277, 7. Januar 2010.

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Internetquellen

Seite „Thomas Szasz“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 30. Januar 2021, 16:48 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Thomas_Szasz&oldid=208249676 [26.2.2021]

Autor

Heiner Keupp
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Kontaktadresse: Prof. Dr. Heiner Keupp, Ringhofferstraße 34, 85716 Unterschleißheim

Heiner Keupp, nach 40 Jahren als Hochschullehrer für Sozial- und Gemeindepsychologie, lehrt er jetzt als Gastprofessor an der Universität Bozen. Aktuell forscht er über traumatisierende Folgen von sexualisierter und physischer Gewalt in kirchlichen und pädagogischen Institutionen.

 

 



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