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Vom Sinn des Regens - Erfahrungen mit einem sozialpädagogischen Gruppenangebot für wohnungslose Frauen

Ute Koop
[Forum Gemeindepsychologie, Jg. 20 (2015), Ausgabe 1]

Zusammenfassung

Im Folgenden beschreibe und reflektiere ich meine persönlichen Erfahrungen bei der Durchführung eines sozialpädagogischen Gruppenangebotes für wohnungslose Frauen. Es handelt sich um eine Gartengestaltung in einem niedrigschwelligen Wohnheim. Der Verlauf des Angebotes war für mich unbefriedigend und veranlasste mich zu weiterführenden, reflektierenden Überlegungen zur Erklärung der beobachteten Phänomene. Aus sozialpädagogischer Perspektive wäre das Projekt als gescheitert anzusehen. Die Hinzuziehung anderer, psychologischer Perspektiven ermöglicht die Vermutung von durchaus stattfindenden, jedoch nach außen wenig wahrnehmbaren Effekten und eines möglichen "tieferen Sinnes". In der Konsequenz könnte dies bedeuten, dass sozialpädagogische Maßnahmen die psychologische Perspektive einbeziehen sollten.

Schlüsselwörter: Soziale Gruppenarbeit, Wohnungslosigkeit bei Frauen, Container-Contained-Modell, Konzept der projektiven Identifizierung

Summary

The sense of rain - Experiences of group work with homeless women

In this article, I would like to reflect my personal experiences during the implementation of a socio-educational group work for homeless women. The group work was a gardening project and took place in a residential home for homeless women. The project did not turn out satisfactory and therefore resulted in further reflexions while looking for an explanation of the perceived phenomena. From a social work perspective, the project failed. Taking further psychological perspectives into account, other not easily noticed effects can be assumed and also a possible "deeper meaning". In consequence, this could mean that including the psychological perspective into socio-educational work could turn out to be helpful.

Keywords: social group work, women's homelessness, Container-Contained-Model, concept of projective identification

Einleitung

Im Frühjahr 2011 führte ich ein sozialpädagogisches Gruppenangebot in einem niedrigschwelligen Wohnheim für wohnungslose Frauen durch. Hierbei handelte es sich um ein bewusst praktisch orientiertes Angebot, nämlich um gärtnerische Tätigkeiten, die von den Bewohnerinnen des Wohnheims in einer Gruppe durchgeführt werden sollten. Im Hinterhof des Wohnheims befindet sich ein Gartengrundstück, das von den Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen zum Aufenthalt genutzt wird. Mein Angebot betraf dieses Gartengrundstück und umfasste gärtnerische Arbeiten, die zur Verschönerung und besseren Nutzbarkeit des Gartens führen sollten: Anlegen von Blumenbeeten, Pflanzen und Säen von Blumen und Grünpflanzen, Düngen und Einsäen der Rasenfläche. Schwerpunktmäßig sollte das Gruppenangebot der Erweiterung bzw. Rückgewinnung positiver sozialer Erfahrungen der Teilnehmerinnen dienen. Wenn möglich, sollten Erfahrungen von Eigenwirksamkeit und Eigenmächtigkeit ermöglicht und gestärkt werden.

Das Angebot wurde von mir im Rahmen des Masterstudiengangs "Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik" an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin durchgeführt.

Das Projekt verlief nicht wie von mir geplant. Während der gesamten Durchführung, jedoch auch noch danach, beschäftigte mich der nicht zufriedenstellende Verlauf dieser Unternehmung. Ich konnte mir die wahrgenommenen Phänomene nicht so ohne weiteres erklären und es fiel mir schwer, ein einfaches Scheitern hinzunehmen. Im Nachhinein stellte ich unter Heranziehung von Fachliteratur verschiedene Überlegungen an, um meine Beobachtungen besser verstehen zu können und zu möglichen Erklärungen zu kommen.

An dieser Stelle möchte ich meine Reflexion und Schlussfolgerungen dazu schildern. Zunächst gebe ich zum besseren Verständnis einige theoretische Hintergrundinformationen zu Wohnungslosigkeit, zur Situation wohnungsloser Frauen und welche Angebote und Maßnahmen für diese Zielgruppe Sozialer Arbeit zur Verfügung stehen. Dann beschreibe ich das von mir durchgeführte Angebot und dessen Entwicklung. Daran schließe ich meine reflektierenden Überlegungen an. Die herangezogene Fachliteratur in Bezug auf die Wohnungslosenhilfe und sozialarbeiterischen/sozialpädagogischen Maßnahmen entspricht den üblichen Quellen, die mir aus dem Studium bzw. aus der beruflichen Praxis bekannt sind. Die herangezogene Fachliteratur in Bezug auf das gruppendynamische Geschehen und die psychologischen Hintergründe wurden z. T. im Unterricht des Moduls "Leitung und Gestaltung von Lernprozessen in Gruppenkontexten" durchgenommen und z. T. mir speziell von der Seminarleiterin Prof. Dr. Musfeld aufgrund meiner Schilderungen zum besseren Verständnis empfohlen.

Wohnungslosigkeit bei Frauen

Wohnungslosigkeit ist kein fest definierter Begriff. Der bundesweite Dachverband der Wohnungslosenhilfe, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W), entwickelte eine allgemein anerkannte und angewendete Definition, wonach der weit gefasste Begriff Wohnungsnotfall für verschiedene Lebenslagen von Menschen in Wohnungsnot (inkl. der Lebenslage Wohnungslosigkeit) verwendet wird.

Zu Wohnungsnotfällen zählen u.a. Menschen, die aktuell von Wohnungslosigkeit betroffen oder unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht sind, in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben oder Menschen, die ehemals von Wohnungslosigkeit betroffen waren und weiterhin auf Unterstützung angewiesen sind, um erneutem Wohnungsverlust vorzubeugen (vgl. BAG W, 2010).

Wohnungslosigkeit kann konkret bedeuten, dass Menschen ohne jegliche Unterkunft sind oder in Behelfsunterkünften (wie Baracken, Wohnwagen, Gartenlauben etc.) leben oder vorübergehend bei Freunden, Bekannten und Verwandten unterkommen. Zentral bei diesem Verständnis von Wohnungslosigkeit ist, dass in den genannten Lebenslagen nicht über eigenen Wohnraum verfügt werden kann, der mietvertraglich abgesichert ist. Dies betrifft auch Menschen, die institutionell z. B. in Wohnheimen oder Notunterkünften untergebracht sind, denn sie haben zwar ein Dach über dem Kopf, verfügen aber in dieser Situation nicht über eigenen Wohnraum im mietrechtlichen Sinne (Vgl. BAG W, 2010).

In Deutschland werden keine bundeseinheitlichen Erhebungen zu Wohnungslosigkeit auf gesetzlicher Grundlage durchgeführt. Die BAG W nimmt daher regelmäßig Schätzungen auf Grundlage eines eigenen Schätzmodelles (Daten aus Beobachtung der Veränderungen des Wohnungs- und Arbeitsmarktes, der Zuwanderung, der Sozialhilfebedürftigkeit sowie regionaler Wohnungslosenstatistiken und eigener Blitzumfragen) vor. Im Jahr 2012 waren danach 284.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, das ist eine Zunahme um ca. 15 % im Vergleich zum Jahr 2010. Die BAG W prognostiziert bis zum Jahr 2016 einen Anstieg der Wohnungslosigkeit um 30% auf dann 380.000 Menschen (BAG W, 2013a). Die Zahl der wohnungslosen Frauen steigt seit Jahren kontinuierlich an, der geschätzte Anteil beträgt ca. 26 % (BAG W, 2014).

In Berlin gehen Fachleute der Wohnungslosenhilfe von rund 11.000 wohnungslosen Menschen aus, davon ca. ein Drittel Frauen (vgl. Körner & Koop, 2012). Da in Berlin keine umfassenden und einheitlichen Erhebungen zur Wohnungslosigkeit durchgeführt werden, bieten diese Zahlen nur einen ungefähren Anhaltspunkt.

Insbesondere Frauen erleben vor und während der Wohnungslosigkeit zusätzliche Belastungen. So haben viele bereits vor dem Verlust der Wohnung in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt. Mit der Wohnungslosigkeit selbst steigt die Gefahr von weiterer Ausgrenzung bis hin zu einem fortgesetzten erhöhten Risiko von gewalttätigen Übergriffen. Gewalterfahrungen haben viele der betroffenen Frauen bereits in der Kindheit innerhalb der Familie oder während früherer Partnerschaften gemacht, es besteht also eine erhöhte psychische und physische Vulnerabilität, die die Anfälligkeit für Krankheiten jeder Art begünstigt (Vgl. BAG W, 2012; Enders-Dragässer & Sellach, 2010).

Als vorwiegende Auslöser von Wohnungsverlust können krisenhafte Lebensumstände wie Trennung bzw. Scheidung, Mietschulden, Auszug aus der elterlichen Wohnung, Ortswechsel, Konflikte im Wohnumfeld und Gewalt in der Beziehung festgestellt werden (vgl. BAG W, 2013b). Bevor Frauen Unterstützung durch das soziale Hilfesystem einfordern, versuchen sie lange Zeit, ihre wirtschaftlichen, sozialen und/oder gesundheitlichen Probleme zu verdecken und aus eigener Kraft zu lösen (vgl. BAG W, 2012). Eine häufige eingesetzte Lösungsstrategie in diesen belastenden Lebenssituationen ist das Eingehen von Zweckgemeinschaften, in denen sexuelle Verfügbarkeit gegen (vermeintlichen) persönlichen Schutz und/oder ein Dach über dem Kopf eingetauscht wird.

Aufgrund dieser Überlebensstrategien ist Wohnungslosigkeit von Frauen oft unsichtbar, sie ist verdeckt. Verdeckt wohnungslos lebende Frauen machen vermutlich die größte Gruppe unter den wohnungslosen Frauen aus. Sichtbar wohnungslos sind dagegen die Frauen, die als offen Wohnungslose das Wohnungslosenhilfesystem in Anspruch nehmen oder sichtbar ohne jegliche Unterkunft auf der Straße leben. Diese letztere, eher kleinere Gruppe von Frauen wird jedoch oft als die für wohnungslose Frauen typische wahrgenommen (vgl. Enders-Dragässer et al., 2000).

Häufig wird erst nach langer Zeit des Über-Lebens in höchst prekären Wohn- und Lebensverhältnissen und nachdem alle persönlichen Ressourcen aufgebraucht sind der Weg aus der Situation des "unsichtbaren Wohnungsnotfalls" in das Hilfesystem gesucht (vgl. Wesselmann, 2009). Wohnungslose Menschen gelten als schwer zugänglich und schwer erreichbar von sozialen Hilfen, viele Problemlagen haben sich über eine lange Zeit manifestiert und chronifiziert. Um eine soziale Integration (wieder) herzustellen, ist das Hilfesystem auf besondere Weise herausgefordert.

Die Wohnungslosenhilfe und Arbeit mit wohnungslosen Frauen

Die Wohnungslosenhilfe unterscheidet hochschwellige und niedrigschwellige Hilfeangebote: Hochschwellige Hilfen erfordern ein aufwendiges Antrags- und Bewilligungsverfahren und haben hohe Anspruchsvoraussetzungen. Sie beinhalten intensive sozialpädagogische/sozialarbeiterische Betreuung, die in unterschiedlichen Arten von Einrichtungen angeboten werden: Beratungsstellen, Tagesaufenthalte, Betreutes Wohnen.

Niedrigschwellig sind Angebote, für deren Inanspruchnahme außer dem Vorliegen von Wohnungsnot bzw. Wohnungslosigkeit wenig bzw. keine Zugangsvoraussetzungen erfüllt und keine Anträge gestellt werden müssen. Sie sollen Menschen in Wohnungsnot einen unkomplizierten Zugang zum Hilfesystem bieten. Es handelt sich hierbei z.B. um Beratungsstellen und Unterbringung in Notunterkünften und Wohnheimen. Ziel ist es, die Grundversorgung wie Übernachtung, Unterkunft, Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidung sicherzustellen, um akuten Notsituationen zu begegnen. Im Weiteren wird Beratung angeboten, um eine Vermittlung in weiterführende Hilfen (die hochschwelligen Hilfen) zu ermöglichen.

Aus all ihren unterschiedlichen Lebenssituationen heraus (direkt von der Straße, aus prekären finanziellen, materiellen Verhältnissen, untergeschlüpft in schwierigen und gewaltvollen Beziehungen, physisch und psychisch angeschlagen) suchen die betroffenen Frauen die Unterstützung in Einrichtungen der sozialen Arbeit. Aufgrund der vielfältigen Problemlagen wird häufig Unterstützung aus verschiedenen Bereichen benötigt: der Wohnungslosenhilfe, des Bereichs für gewaltbetroffene Frauen, der Kinder- und Jugendhilfe, der medizinischen/psychologischen Versorgung. Die Kooperation und Koordinierung gestaltet sich oft schwierig.

Das Leben als Wohnungslose in prekären und gewaltvollen Lebensumständen, oft über lange Zeit, hinterlässt tiefe Spuren. Misstrauen und Vorsicht gegenüber anderen Menschen und Institutionen, auch und gerade gegenüber dem Hilfesystem, sind eine übliche Reaktion. Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe werden nicht immer als hilfreich empfunden, da es die gewünschte Unterstützung (Wohnraum, materielle Absicherung) nicht ohne Bedingungen gewährt. Ein hoher bürokratischer Aufwand muss zur Sicherstellung der elementarsten Bedürfnisse bewältigt werden. Vertreter/-innen des Hilfesystems wie Sozialarbeiter/-innen dringen permanent darauf, dass Regeln und Bedingungen eingehalten werden. Auch niedrigschwellige Einrichtungen wie Notunterkünfte und Wohnheime mit zunächst wenig Zugangsvoraussetzungen bestehen oft darauf, dass die zur Unterbringung bzw. zur Wohnraumbeschaffung erforderlichen Behördengänge erledigt werden, oftmals droht anderweitig der Ausschluss.

Im Vorlauf des Gruppenangebotes: Rahmenbedingungen, Herangehensweise, Ziele

Vor diesem Hintergrund bot ich in dem Wohnheim für wohnungslose Frauen, einer niedrigschwelligen Einrichtung, den Bewohnerinnen das Projekt zur Gartengestaltung an. Die gärtnerischen Tätigkeiten sollten in einer Gruppe stattfinden, deren Teilnehmerinnen sich für dies Angebot interessierten und Lust dazu hatten, daran mitzuwirken. Die Begegnung mit den Frauen sollte daher nicht auf der üblichen sozialarbeiterischen Gesprächsebene stattfinden, die oftmals geprägt ist von der unangenehmen Konfrontation mit den vorliegenden schwierigen Lebensumständen und der Frage danach, wie es weiter gehen kann. Im Gegensatz dazu war mein Hauptziel, dass die teilnehmenden Frauen eine positive Lebenserfahrung ohne äußeren Druck machen, ohne direkt eine sozialpädagogische Zielerfüllung daran zu knüpfen. Damit ging ich ein Stück weit über die üblichen sozialpädagogischen Zielsetzungen hinaus.

Wichtig war mir auch, dass die Teilnahme an dem Angebot freiwillig erfolgt und die Frauen sich dafür (oder dagegen) entscheiden konnten. Auch eine partielle Teilnahme sollte möglich sein, das heißt, dass die Frauen auch zwischendurch kommen und gehen können sollten.

Das Gruppenangebot führte ich an vier Terminen 14tägig nachmittags durch. Vier Wochen nach dem vierten Termin gab es einen Abschlusstermin, an dem der neu gestaltete Garten mittels eines Grillfestes zur allgemeinen Nutzung freigegeben wurde.

Die praktische Durchführung: Verlauf des Angebotes

Die Aktivitäten in der Gruppe verliefen wie folgt: An den gärtnerischen Tätigkeiten der ersten vier Termine nahm keine der Bewohnerinnen des Wohnheims aktiv teil. Dagegen nahmen am abschließenden Grillnachmittag im Garten 13 Frauen teil.

Die anfängliche 'Nichtteilnahme' und spätere 'Teilnahme' an meinem Angebot stellt sich mir differenziert betrachtet so dar:

Zu den jeweiligen Terminen ging ich ohne Teilnahme von Bewohnerinnen des Wohnheims den geplanten gärtnerischen Tätigkeiten nach. Während dieser Zeit hatte ich wechselnde Besucherinnen im Garten. Einige Bewohnerinnen der Einrichtung kamen im Garten 'vorbei', um zu schauen, wie sich die Tätigkeiten gestalten, um einen 'Plausch' zu halten und eine Zigarette zu rauchen. Alle 'Vorbeikommenden' drückten mir gegenüber aus, dass sie die Gartengestaltung eine tolle Idee fänden, und teilten mir gleichzeitig mit, warum sie persönlich leider nicht daran teilnehmen könnten: Der gewählte Wochentag sei ein schlechter Termin, weil an diesem Tag die Behörden offen haben und die Frauen Ämtergänge erledigen können; im Weiteren wurden bestehende körperliche Beeinträchtigungen genannt und der fehlende 'grüne Daumen'. Die Frauen sagten mir also die Teilnahme an dem Angebot ab, verweilten aber dennoch gern im Garten, um sich mit mir zu unterhalten. Manche sahen mir aus den Fenstern ihrer Zimmer, die in Richtung Garten zeigten, bei der Arbeit zu.

Über die gesamten vier Termine entwickelte sich bei mir ein gefühlsmäßiger Stimmungsbogen von zunächst Arbeitslust und Begeisterung (zu Beginn des ersten Termins, weil ich selbst hoch motiviert war) über schnell zunehmende Irritation und Verunsicherung (im Verlauf des ersten Termins, als keine Frau zur Teilnahme erschien) bis hin zu Ratlosigkeit, Enttäuschung und Resignation (als fortwährend über mehrere Termine keine Frau teilnahm). Mit einer solchen Entwicklung hatte ich nicht gerechnet. Am vierten Termin, dem letzten Termin, an dem Gartenaktivitäten vor dem Abschlusstermin stattfanden, konnte ich selbst nur noch schwer eine innere Motivation aufbringen und erschien hauptsächlich aufgrund von mir selbst auferlegter Pflichterfüllung. Während des gesamten Zeitraumes überlegte ich, ob ich die ganze Aktion abbrechen sollte.

Letztendlich tat ich dies nicht. Zum einen deswegen, weil ich selbst große Lust zu der gärtnerischen Tätigkeit hatte und bestimmte Voraussetzungen bereits geschaffen hatte, die es nun zu erfüllen galt (z.B. Samen zum Aussäen und Pflanzen zum Einpflanzen besorgt). Zum anderen erfuhr ich diverse positive Rückmeldungen auf meine Aktivitäten im Garten durch die wechselnden Besucherinnen, die ich dort während meiner Arbeit hatte, die, wenn schon nicht materiell-physisch, so doch sozusagen 'im Geiste' reges Interesse zeigten. Die 'geistige' Beteiligung fand ihren Höhepunkt darin, dass eine der Bewohnerinnen einen wundervollen Gartenplan anfertigte, auf dem sie einzeichnete, an welchen Stellen welche Pflanzen angepflanzt werden und an welchen Stellen Sitzplätze eingerichtet werden könnten. Sie zeichnete den Plan selbst im DIN A3 Format und verzierte diesen reichhaltig mit ausgeschnittenen Bildern von Blumen und Gartenzubehör aus Zeitschriften. Sie legte außerdem ein Tütchen mit Blumensamen zum Aussäen bei. Diese Bewohnerin ließ mir ihren Gestaltungsvorschlag über ihre sozialpädagogische Ansprechpartnerin des Wohnheims zukommen. Sie selbst erschien zu keinem der Gartentermine. Wenn ich den Verlauf der Gartenaktivität retrospektiv betrachte, wird mir die zwar rein 'geistige' und somit unsichtbare, aber dennoch höchst aktive Teilnahme an der Gartengestaltung dieser Frau sehr deutlich und auch die innere Verbindung, die sie dazu gehabt haben muss.

Nach der Phase der 'Nichtteilnahme' an vier Terminen erfuhr das Projekt eine überraschende Wendung: Vier Wochen nach dem letzten Gestaltungs-Termin fand der Abschlusstermin statt, der Grillnachmittag. Freundlicherweise hatte sich eine Praktikantin bereit erklärt, das Grillen zu übernehmen und eine MAE-Kraft wollte beim Aufbau der Sitzgelegenheiten helfen. Nachdem ich vier Gartentermine durchführte, an denen ich durchgängig (fast) die einzige aktive Teilnehmerin war, sank meine Motivation in Bezug auf den Abschlusstermin auf den Nullpunkt. Ich stellte mir die Frage, wozu bzw. mit wem ich eigentlich grillen möchte und eine Rückschau halten sollte. Zu allem Überfluss fing es am Vormittag des nämlichen Tages an leicht zu regnen. Ich fuhr ins Wohnheim in Erwartung eines verregneten Nachmittags im Garten, klamm fröstelnd mit der Praktikantin und der MAE-Kraft am Grill stehend, ohne jegliche Beteiligung der Bewohnerinnen.

Diese Erwartungshaltung wurde auf das Gründlichste widerlegt: Als ich im Wohnheim erschien, war der Tisch bereits gedeckt, Salate und Grillgut standen bereit, die Praktikantin hatte den Grill schon in Gang gebracht, die MAE-Kraft war dabei, Sitzgelegenheiten und Tische aufzustellen. Eine Gruppe von etwa fünf Frauen war bereits eingetroffen und hatte sich an den beliebten Plätzen auf und um die Hollywood-Schaukel herum formiert. Weitere Frauen kamen im Verlauf des Nachmittags dazu, insgesamt nahmen von den Bewohnerinnen 13 Frauen teil. Meine Verblüffung über diese starke Resonanz ganz entgegen meinen vorherigen Erfahrungen war entsprechend groß, mit dieser Entwicklung hatte ich wiederum nicht im mindesten gerechnet.

Im Nachhinein: Reflektierende Überlegungen

Die Gartenaktivitäten wurden von den Bewohnerinnen des Wohnheims mit Interesse verfolgt, auch eigene Aktivitäten (Nachdenken über Gartengestaltung, Gespräche untereinander, Besuche im Garten und Gespräche mit mir, aus dem Fenster schauen und meinen Tätigkeiten zugucken) wurden initiiert. Es kam jedoch nicht zu einer eigenen physisch aktiven Teilnahme an dem Angebot, sondern eher zu fiktiven Beteiligungen, wie die visionäre Gartenplangestaltung ohne physische reale Beteiligung an der tatsächlichen Umsetzung. Erst zum Abschlusstermin traten die Bewohnerinnen in Erscheinung, sowohl durch physische Präsenz im Garten als auch in der aktiven Beteiligung an Vor- und Nachbereitungen des Grillnachmittages.

Die Option der freiwilligen Teilnahme bzw. die Entscheidung gegen eine Teilnahme, eins meiner Ziele, wurde somit von den Frauen ausdrücklich wahrgenommen. Sie entschieden sich deutlich gegen die Teilnahme an gärtnerischen Aktivitäten und deutlich für einen Grill-Nachmittag im Garten.

Die Vermutung, dass vielleicht das Thema des Angebotes nicht genügend zur Teilnahme motivieren konnte, liegt nahe. Das Angebot eines angenehmen geselligen Zusammenseins mit Beköstigung konnte im Gegensatz dazu sehr wohl zur aktiven Beteiligung motivieren. Die Gartengestaltung verfehlte also möglicherweise das Thema, so wie Bausch und Zach (2008) es darstellen:

"Es kann sich während des Seminars herausstellen, dass das vorgesehene Thema nicht das 'richtige' für die Teilnehmer ist. Eventuell ist der Bedarf der Teilnehmer ein anderer, vielleicht fehlt ihnen auch ein Zwischenschritt, bevor sie sich auf das Thema einlassen können. Widerstand der Teilnehmer äußert sich häufig durch Methodenkritik, Ungeduld, Arbeitsverweigerung oder auch durch demonstratives Desinteresse." (ebd., S. 155, Hvh. v. V.)


Der Umkehrschluss wäre dementsprechend, dass die bessere Übereinstimmung von Teilnehmerinneninteresse und Thema durch das Angebot eines Grillnachmittages erzielt wurde und deshalb an diesem Termin die Teilnahme so hoch war.

Aretz (2007) untersucht in ihrer Diplomarbeit die Bedeutung von Sozialer Gruppenarbeit für wohnungslose Menschen innerhalb des von Studierenden initiierten Projektes "Kochen+", das gemeinsames Einkaufen, Kochen und Einnehmen von Mahlzeiten beinhaltet. Ihre Untersuchungsergebnisse bestätigen die obige Hypothese:

"Durch diese Arbeit ist deutlich geworden, dass das gemeinschaftliche Zubereiten von Mahlzeiten für die TeilnehmerInnen nicht alltäglich ist, sondern eine Besonderheit darstellt. Die Teilnehmerin vergleicht die Projektgruppe mit einer Familie. Eine Familie bietet im Optimalfall Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeitsgefühl. Diese Eigenschaften beschreiben die TeilnehmerInnen im Interview an der Projektgruppe." (ebd., S. 97)


Gemeinsam Essen zubereiten und Mahlzeiten einnehmen hat demzufolge neben dem physischen Wert eine hohe symbolhafte Bedeutung für wohnungslose Menschen, es steht für Familie, Sicherheit, Schutz, Zugehörigkeit, zu Hause sein bis hin zu möglicherweise 'Normal-Sein'. Diese Erfahrungen sind für wohnungslose Menschen nicht selbstverständlich, es gibt eine große Sehnsucht danach und dementsprechend ist die Resonanz auf solche Angebote hoch.

Jedoch scheint es mir, dass es im Falle der gärtnerischen Gestaltung auch Anzeichen dafür gab, dass die Frauen nicht nur an gemeinsamen Mahlzeiten, sondern ebenfalls sehr wohl am Gartengeschehen Interesse hatten (Besuche und Gespräche im Garten, positive Rückmeldungen, Beobachtungen durch das Fenster, angefertigter Gartenplan). Dieses Interesse äußerte sich in besonders zurückhaltendem, nicht leicht wahrnehmbarem Verhalten. Dieses zunächst eher reaktive Verhalten erfuhr dann eine starke Fortentwicklung am Grillnachmittag, an dem die anwesenden Frauen nicht nur positive, anerkennende Rückmeldungen zur Gartenaktion gaben, sondern darüber hinaus Ideen entwickelten und Vorschläge für zukünftige Gartenaktivitäten äußerten (einen festen Grillplatz anlegen, Erweiterung der Sitzgelegenheiten). Diese Anzeichen lassen mich an der Eindeutigkeit der 'Pass-Ungenauigkeit' des Themas 'Gartenaktivität' im Gegensatz zu 'Grillnachmittag' zweifeln.

Ein anvisiertes Ziel des Angebotes war die Erfahrung positiven sozialen Erlebens und der konstruktiven Auseinandersetzung mit der Welt (mit Teilnehmerinnen der Gruppe, mit mir, mit der gärtnerischen Tätigkeit). Es ging um "das Aneignen von sozialen Verhaltensweisen" (Heigl-Evers & Heigl, 1971, S. 1). Die gärtnerischen Tätigkeiten sollten den Raum dafür bieten. Im Nachhinein stelle ich fest, dass meine oben beschriebenen Ziele sich auf den Ebenen abspielen, auf denen Brocher (1967/1981) Lernprozesse in Gruppen ansiedelt. Brocher beschreibt aus der Perspektive der Gruppendynamik die Verschränkung der Ebene der rationalen Stoffvermittlung mit der Ebene des emotionalen Beziehungsgefüges der Gruppenmitglieder, in der der Lehrer "seine Aufgabe der Stoffvermittlung innerhalb eines mitmenschlichen Gefüges lösen muss, in dem bestimmte Prozesse ablaufen" (ebd., S. 76). Und weiter heißt es:

"Die Stoffbewältigung kann nur gelingen, wenn die Aufgabe eines Miteinanders bewusst bleibt und Beachtung findet und umgekehrt. Es handelt sich um zwei Ebenen des Lernprozesses, die in ihrer Wechselwirkung verstanden werden müssen, soll eine 'Lehre' wirksam werden (...)." (ebd., S. 76, Hvh. v. V.)


Brocher beschreibt weiter, dass die "Bewältigung des mitmenschlichen Beziehungsfeldes" (ebd., S. 79) von großer Bedeutung für den Lernprozess ist. Demnach ist für Teilnehmer von Erwachsenenbildung nicht nur der angebotene Stoff wichtig, sondern auch das Beziehungsfeld der Gruppe, das als ein "neues Erprobungsfeld für misslungene Entwicklungsschritte" (ebd., S. 79) aufgefasst wird, in dem unbewusst immer wieder die Bewältigung angestrebt wird. Dies ist für die Teilnehmer jeweils gleichzeitig mit Hoffnung auf Bewältigung und Angst vor erneutem Versagen besetzt.

Im Gegensatz zu Brochers Ansatz, der von der Stoffvermittlung ausgeht und daran anknüpfend gruppendynamische Prozesse beobachtet, lag der Schwerpunkt dieses Angebotes von vornherein auf der zwischenmenschlichen Interaktionsebene. Mein Ziel war es, dass die Teilnehmerinnen die Möglichkeit bekommen, in einem geschützten Rahmen gelingende Erfahrungen auf der zwischenmenschlichen Ebene zu erleben und damit vielleicht nachzuholen, woran sie in anderer Umgebung bereits gescheitert sind und sich aufgrund dieser neuen positiven Erfahrung weiterentwickeln zu können. Dazu diente mir die gärtnerische Tätigkeit als Vehikel. Dies entspricht auch der Zielsetzung von Gruppenarbeit im Bereich der Sozialen Arbeit. Konopka (2000) definiert diese Methode wie folgt:

"Soziale Gruppenarbeit [ist] eine Methode der Sozialarbeit, die den Einzelnen durch sinnvolle Gruppenerlebnisse hilft, ihre soziale Funktionsfähigkeit zu steigern und ihren persönlichen, Gruppen- oder gesellschaftlichen Problemen besser gewachsen zu sein." (ebd., S. 47, Hvh. v. V.)


Soziale Gruppenarbeit wird als problemzentrierte Gruppenarbeit mit benachteiligten Menschen eingesetzt. Die festgestellten individuellen und sozial bedingten Defizite oder subjektiven Unzulänglichkeiten sollen durch das Angebot der Gruppenarbeit kompensiert werden, Menschen sollen befähigt werden, ihre alltäglichen Lebensanforderungen besser bewältigen zu können (vgl. Schmidt-Grunert, 2009, S. 62).

Gruppenarbeit mit wohnungslosen Menschen bewegt sich in einem spezifischen Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit und ist mit feldspezifischen Anforderungen konfrontiert. Aretz (2007) benennt als Ziele der Sozialen Gruppenarbeit in diesem Feld die "Förderung von sozialen und kommunikativen Fähigkeiten" (ebd., S. 94) und führt weiter aus, dass "gerade wohnungslose Menschen in diesen Bereichen Defizite" (ebd., S. 94) haben:

"Diese kommen dadurch zustande, dass wohnungslose Menschen in einer von Gewalt geprägten Umwelt leben, häufig auf sich alleine gestellt sind und die Ablösung aus der Gesellschaft für sie eine traumatische Erfahrung war. (...) [V]iele der Wohnungslosen [haben] durch Ereignisse, für die ihnen Bewältigungsstrategien fehlten, ihre Wohnung verloren (...)." (ebd., S. 94)


Als Ergebnis aus ihrer Untersuchung hält Aretz fest, dass

"... die Bedeutung von Sozialer Gruppenarbeit vor allem darin besteht, dass sie Wohnungslosen einen Schutzraum bietet, in dem sie keine Angst vor Übergriffen haben müssen, die Möglichkeit erhalten, ein soziales Netzwerk aufzubauen und etwas in Gemeinschaft zu tun (...)." (ebd., S. 97)


Nun hat also genau das hier im Falle der Gartenaktivität nicht stattgefunden bzw. erst zum Abschlusstermin eine entsprechende Resonanz hervorgerufen. Könnte es sein, dass das Thema Gartenarbeit nicht im gleichen Maße bedeutsam für die Frauen ist bzw. sogar vielleicht überfordernde und angstauslösende Wirkung hat? Denn hier geht es im Gegensatz zu gemeinsamen Essen um Expandieren, darum, sich Raum anzueignen, um in Besitz nehmen, sogar gestalten. Dies setzt eine gewisse äußere und innere Sicherheit voraus, die in diesem Falle vielleicht nicht gegeben ist. Innerlich nicht, weil sich die Frauen aufgrund ihrer negativen Lebenserfahrungen nicht sicher in dieser Welt fühlen, und äußerlich nicht, weil das Leben als Wohnungslose in einer entsprechenden Einrichtung keine Sicherheit und Dauerhaftigkeit bietet wie ein eigenes Zu-Hause.

Alle oben dargestellten Überlegungen scheinen mir zumindest teilweise 'wahr' bzw. 'möglich' zu sein. Dennoch ist mein Eindruck, dass die oben geschilderte Entwicklung des Angebotes ein Ausdruck für Tieferliegendes sein könnte, das ich an dieser Stelle genauer betrachten möchte: Was könnte sich in diesem Gruppenangebot durch anfängliche Nichtteilnahme und spätere Teilnahme Ausdruck verliehen haben? Ist in diesem auf den ersten Blick nicht gelungenen Angebot exemplarisch etwas offenbar geworden, was 'normalerweise' (wenn das Gruppenangebot so funktioniert hätte, wie ich es geplant hatte), vielleicht nicht offenbar geworden wäre? Und welche Funktion, welche Rolle hatte ich darin?

Keine der Bewohnerinnen nahm an meinem Gruppenangebot der aktiven Gartengestaltung teil, ich war meiner Leitungsfunktion enthoben, keine Gruppe, keine Leitung. Im Gegenteil war ich diejenige, die die gestellte Aufgabe allein durchführte, so dass das inhaltliche Ziel der Gartenverschönerung zwar erreicht wurde, jedoch nur durch meinen eigenen physischen Einsatz. Die Bewohnerinnen des Wohnheims ließen mich mit meinem Angebot buchstäblich 'im Regen stehen', 'bedröppelt', vorgeführt. Nicht ich leitete, sondern wurde geleitet, alle vier Termine der Gartenaktivität hindurch. Und tatsächlich erwartete ich auch zum letzten Termin, dem Grillnachmittag, genau dasselbe, so dass sogar die Wetterentwicklung an diesem Tag (Regen am Vormittag) mir ein äußerer Ausdruck meiner inneren Erwartungshaltung zu sein schien.

Doch welch wundersame Umkehrung an diesem Nachmittag! Die Frauen kamen und blieben trotz Nieselregen. Plötzlich war ich diejenige, die sich einfach an den gedeckten Tisch setzen konnte, ohne etwas dafür tun zu müssen, weder vorbereiten, noch selbst grillen, noch aufräumen! Ich wurde gelobt und meine Arbeit gewürdigt, zukünftige Pläne möglicher weiterer Aktivitäten wurden entwickelt. Was also ist hier geschehen?

Lobe (2002) beschreibt das von Bion (weiter-)entwickelte Container-Contained-Modell, in dem es um das Lernen aus Erfahrung durch einen bestimmten "Prozess des interaktiven Austauschs zwischen Subjekt und Objekt" (ebd., S. 4) geht. Grundlage hierfür ist das psychoanalytische Konzept der projektiven Identifizierung nach Melanie Klein,

"... eine rudimentäre, vorsprachliche Kommunikation, eine Interaktion zwischen zwei Personen bzw. zwischen der einen Entität, die in der psychoanalytischen Theorie (genau genommen, in der 'Objektbeziehungstheorie') als 'Subjekt' bezeichnet wird und der anderen, die dessen 'Objekt' genannt wird." (ebd., S. 5, Hvh. v. V.)


Beim Container-Contained-Modell werden von einem Subjekt als bedrohlich empfundene Teile des Selbst nach außen in ein Objekt projiziert. Hieraus kann sich ein heilsamer und progressiver Effekt für das Subjekt ergeben, wenn

"... das 'Objekt' (...) diese Ängste bzw. ausgestoßenen Selbstanteile in einer, sich damit identifizierenden, aber relativ angstfreien Weise - also intuitiv verstehend - in sich aufnehmen kann. Der komplette Zyklus ist aber erst dann vollzogen, wenn dieses aufnehmende - containende - 'Objekt' diese Gefühle bzw. existentiellen Ängste oder ausgestoßenen Selbstanteile in sich verarbeiten, entschärfen, modifizieren und sie in dieser erträglich gemachten, assimilierbaren Form dem 'Subjekt' zurückgeben kann." (ebd., S. 5, Hvh. v. V.)


Lobe führt als typische Objekt-Subjekt-Beziehungen die Mutter-Kind-Beziehung, Gedanke-Denker, Gruppe-Einzelner und Organisation-Gruppe an (vgl. ebd., S. 4). Sinn der Containment-Beziehungen ist es, durch diese Art der Kommunikation Kontakt herzustellen, als unerträglich empfundene Gefühle einem Objekt zu überantworten, das diese transformiert und dem Subjekt in erträglicher Form wieder verfügbar macht und dadurch dem Subjekt Lernen ermöglicht.

In der Übertragung auf den Verlauf der Gartenaktivität (wobei Kommunikation hier im weitesten Sinne verstanden wird), könnte es bedeuten, dass ich als container für unerträgliche, bedrohliche Gefühle der 'teilnehmenden' Frauen gedient habe. Möglicherweise fühlen sich die Frauen so, wie ich mich während der Gartenarbeiten gefühlt habe, allein, fallen gelassen, im Regen stehend, der Leitung enthoben (symbolisch für fehlende Eigenmacht über das eigene Leben?). Möglicherweise war daher mein überantworteter Auftrag, die Arbeit trotz der Nichtteilnahme der Zielgruppe dennoch fertigzustellen und die Gartenverschönerung zum gelungenen Ende zu führen. An einem der Termine fing es zwischendurch an zu regnen und eine der Bewohnerinnen (die mich offensichtlich beobachtet hatte) rief aus dem Fenster: "Gehen Sie jetzt nach Hause?" (da es ja regnete). Ich war verblüfft, denn es war nur leichter Regen, aus meiner Sicht kein Grund, die Tätigkeit einzustellen und sagte: "Nein, so schlimm ist es nicht", zog meine Regenjacke an und arbeitete weiter. War ich also diejenige, die den Frauen zum einen zeigte, dass nicht gleich bei jedem Regen weggegangen werden muss oder man gar nichts mehr tun kann, sondern dass die Regenjacke angezogen und weitergemacht werden kann? War ich zum anderen für die Frauen eine Art Silberstreif am Horizont, der die Hoffnung auf gutes Wetter nach dem Regen weckte und trotz schlechtem Wetter die Arbeit zu Ende führte? Und war die Umkehrung zum Abschlusstermin mit hoher Teilnahme eine Art Dankeschön der Frauen für mein Tun? Diese Vorstellung finde ich zwar spekulativ und wenig physisch/real handfest und 'beweisbar', deswegen auch schwierig, aber sie rührt mich dennoch sehr an.

Meine Funktion als Gruppenleiterin fand in diesem Falle dem Container-Contained-Modell zufolge auf einer anderen Ebene als der rein physischen statt: Ich eröffnete mit meinem Angebot für die Frauen den Raum, Angstabwehr (Abwehr der angsteinflößenden Gefühle) zu ermöglichen und gefährlich erscheinende Gefühle angstfrei zu transformieren und in veränderter, erträglicher Form zurückzugeben.

Zunächst finde ich dieses Gefühl von vermeintlicher Passivität, von 'Benutzt-Werden' zur Auftragserfüllung unangenehm. Diesbezüglich beruhigend finde ich Lobes (2002) Klarstellung:

"Hinzuzufügen ist, dass es sich hier natürlich nicht um bewusste oder intentionale Zielsetzungen handelt, sondern eben um das Wirken einer unbewussten Dynamik, um solche unerträgliche, bedrohliche Gefühle - existentielle Ängste - mit Hilfe dieser spezifischen omnipotenten Phantasie abzuwehren." (ebd., S. 5)


Durch diese Erklärung fällt es mir leichter, mich nicht persönlich von solchen Dynamiken bedroht oder angegriffen zu fühlen, wie es mir bei einer absichtsvollen, persönlichen 'Inbesitznahme' gehen würde, sondern ich empfinde mich dabei als eine handelnde Person, die (unbewusst) einen Raum für Projektion eröffnet hat.

Tietel (2000) beschreibt in diesem Zusammenhang "[d]ie Verwendung des Beraters" wie folgt:

"[D]as sich Sich-Gebrauchen-Lassen in einer Weise, dass man dem System, das man berät, [zeigen kann]: Ich gehe dabei nicht kaputt und ich räche mich auch nicht, sondern ich lasse mich in einer Art und Weise verwenden, die dem System eine Chance gibt, zur Selbstveränderung zu kommen. Und insofern finde ich das Gebrauchen, im Sinne eines Sich-Gebrauchen-Lassen-Könnens, eigentlich einen ausgesprochen wichtigen Aspekt des Benutzens." (ebd., S. 2/3, Hvh. v. V.)


Hierbei bezieht er sich auf den Aufsatz von Winnicott Objektverwendung und Identifizierung, in dem Winnicott die Entwicklung von Objektbeziehung (zwischen Subjekt und Objekt entwickeln sich Projektionen und Identifikationen, das Objekt wird zum Bündel von Projektionen) zu Objektverwendung (Wahrnehmung des Anderen in seiner Eigenständigkeit) beschreibt. Nach Winnicott ist dafür die Zerstörung des Objektes nötig, womit die Zerstörung der Phantasien und Projektionen, die das Subjekt sich über das Objekt gemacht hat, gemeint ist. Erst danach kann das Objekt realistisch wahrgenommen werden: "Der Schlüssel zur Realität des Anderen besteht also in der Durchbrechung der eigenen Projektionsmechanismen" (ebd., S. 4).

Tietel stellt dar, dass nach Winnicott dieser Prozess ein erwünschter Prozess ist, der zur Kontaktaufnahme und Beziehung mit anderen Menschen und Umwelt notwendig ist, jedoch immerwährende Anstrengung erfordert:

"Dieser Übergang von der Objektbeziehung zur Objektverwendung markiert Winnicott zufolge einen der schwierigsten Entwicklungsprozesse in der Kindheit; einen Entwicklungsprozess obendrein, der nie ein für allemal abgeschlossen ist, sondern in allen Beziehungen mehr oder weniger eine Rolle spielt und immer wieder aufs Neue zu bewältigen ist." (ebd., S. 4)


Habe ich also durch mein gärtnerisches Tun, vor allen Dingen durch das erfolgreiches Zu-Ende-Bringen der Gartentätigkeit, zu einem Prozess von Objektbeziehung hin zu Objektverwendung in Winnicotts und Tietels Sinne beigetragen und dem System (den Bewohnerinnen des Wohnheims) eine Chance zur Selbstveränderung geboten?

Nach beiden hier angesprochenen Denkmodellen (Containment und Objektverwendung) ist es wichtig, bis zum Ende des Prozesses durchzuhalten, denn nur dann ist der notwendige Entwicklungsschritt (Transformation der unaushaltbaren Gefühle in aushaltbare, kommunizierbare Gefühle, Objektbeziehung zu Objektverwendung) getan und der Prozess erfolgreich (vgl. Lobe, 2002).

Die Perspektive der beiden zuletzt dargestellten Denkmodelle und die damit verbundenen Erklärungen der möglichen Ursachen der Entwicklung des Gruppenangebotes versöhnen mich mit dem für mich zunächst sehr enttäuschenden Gruppenverlauf. Diese Sichtweise eröffnet mir die Möglichkeit, das Angebot nicht als misslungen einzuordnen, sondern auf psychischer Ebene möglicherweise als durchaus gelungen. Ebenso könnten die Bewohnerinnen des Wohnheims nach der Durchführung des Angebotes darüber denken, denn nicht nur sie haben meine Erwartungshaltung nicht erfüllt (keine Teilnahme am Angebot), auch ich habe ihre Erwartungshaltung nicht erfüllt (habe das Angebot nicht abgebrochen, sondern trotz ihrer Nichtteilnahme erfolgreich zu Ende gebracht) und dadurch ihre Erwartung des Scheiterns des Projektes in das Gegenteil transformiert.

Zum Schluss

Eine neue Erfahrung war für mich in diesem Falle, dass die seelischen Vorgänge der Teilnehmer/-innen, die sich auf seelischer Ebene vollziehenden Interaktionen zwischen Teilnehmer(inne)n untereinander und zwischen Teilnehmer(inne)n und Gruppenleiter(inne)n einen so hohen Einfluss auf Gruppenverläufe haben können. Auch ich als Leiterin oder Betreuungsperson bin in die Gruppenprozesse involviert, habe daran teil und beeinflusse auch die Gruppendynamik, bewusst oder unbewusst. So deutlich wie in diesem Fall ist mir das noch nie geworden.

Tiefer liegende innere Zustände und gedankliche/seelische Bewegungen der Teilnehmerinnen einer Gruppe können die Gruppenprozesse maßgeblich bestimmen. Nicht immer ist der äußere Ausdruck dieser seelischen Bewegungen so ohne weiteres für andere Menschen nachvollziehbar. Dies betrifft vielleicht in besonderem Maße die Zielgruppe der Wohnungslosen, die möglicherweise auch deswegen schnell per se als 'schwierig' eingestuft wird.

Bausch und Zach (2008) machen deutlich: Schwierige Teilnehmer/-innen "haben meist gute Gründe für ihr Verhalten" (ebd., S. 49). Wenn also, wie z. B. in diesem Fall vermutet, die "projektive Auslagerung unerträglicher Selbstanteile" (Lobe, 2002, S. 6) so überhandnimmt, dass sie den Prozessverlauf einer Gruppe stört und zum Erliegen bringt, sollte dies in Angeboten dieser Art mitbedacht werden, wenn möglich mit einer gewissen Gelassenheit gehandhabt und vielleicht sogar vorrangig behandelt werden. Diese Überlegung macht mir deutlich, an welcher Stelle die Frauen möglicherweise innerlich stehen und wo sie 'abgeholt' werden müssen.

Aus sozialpädagogischer Perspektive wäre das oben beschriebene Gruppenangebot als gescheitert zu betrachten, da keine der Teilnehmerinnen zu den Aktivitäten motiviert werden konnten und somit die Ziele des Angebotes nicht erreicht wurden. Die Heranziehung weiterer Perspektiven, wie z. B. des Container-Contained-Modells, ermöglicht es jedoch, das Projekt nicht als gescheitert, sondern auf seelischer Ebene durchaus als erfolgreich einzuschätzen.

Dementsprechend könnte eine Aufgabe bei der Durchführung derartiger Angebote darin liegen, die Möglichkeit von bestimmenden psychischen Vorgängen in die Gruppenplanung und Gestaltung stärker mit einzubeziehen. Vielleicht spricht es auch dafür, therapeutische Anteile in sozialpädagogische Angebote einzubauen bzw. stärker mit psychologisch geschulten Fachkräften zusammenzuarbeiten. Auch wenn im niedrigschwelligen Bereich der Wohnungslosenhilfe ein solcher i.d.R. hochschwelligen Hilfen vorbehaltener Ansatz nicht vorgesehen ist, zeigt dieses Beispiel, dass es gerade an dieser Stelle nötig wäre, die seelische Ebene zu beachten und miteinzubeziehen.

Literatur

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Bausch, M. & Zach, K. (2008). Seminarkrisen meistern. Erste Hilfe für Trainer, Lehrer, Vortragende. Reinbek bei Hamburg: rororo.

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Autorin

Ute Koop
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MA Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik. Mitarbeiterin (bis Juni 2014) in Evas Haltestelle, Tagesstätte für wohnungslose Frauen (Träger: Sozialdienst Katholischer Frauen Berlin e.V.) mit den Aufgaben der sozialpädagogischen Beratung, Durchführung von Gruppenaktivitäten und Projektorganisation; ehrenamtliche Mitarbeiterin der Nachtbereitschaft (bis Juli 2014) in der Notübernachtung für Frauen (Träger: GEBEWO Pro gGmbH, Berlin). Seit Juli 2014 Mitarbeiterin an der Alice-Salomon-Hochschule, IT-Servicestelle mit der Aufgabe der Betreuung der NutzerInne.



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