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Metaphern der Kontrolle in der Sozialpsychiatrie

Ralf Quindel
[Forum Gemeindepsychologie, Jg. 19 (2014), Ausgabe 2]

Zusammenfassung

Soziale Kontrolle ist eine der Hauptfunktionen der psychiatrischen Behandlungen. Jedoch werden die kontrollierenden Seiten ihrer Tätigkeit von den Professionellen im sozialpsychiatrischen Feld selten offen thematisiert. Der Autor interviewte SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen und PsychologInnen, die in Sozialpsychiatrischen Diensten tätig sind, zum Thema "Einweisung in die Klinik". Mit Hilfe einer metaphernanalytischen Untersuchung wird deutlich, wie stark die Dialektik von Hilfe und Kontrolle den Diskurs zu diesem Thema bestimmt. Mit den jeweiligen Metapherngruppen lassen sich Kontroll- und Zwangsaspekte professionell begründen, aber auch entschuldigen oder vertuschen. Anschließend zu dieser allgemeinen Sprachanalyse wird eine Rekonstruktion subjektiver Perspektiven in einer Fallbeschreibung versucht.

Schlüsselwörter: Metaphernanalyse, Sozialpsychiatrie, Soziale Kontrolle

Summary

Metaphors of control in social psychiatry

Social control is one of the main roles of psychiatric treatment. However, the controlling aspects of their work are rarely openly addressed by professionals in the social psychiatric field. The author interviewed social workers, physicians, and psychologists working in social psychiatric services on the topic "Hospitalization". Metaphor analysis revealed the large influence of the dialectic of help and control on discussions on this subject. Using the respective metaphor groups, the aspects of control and pressure can be professionally explained, but can also be rationalized and hushed up. Following the general language analysis, a reconstruction of a subjective perspective is attempted in form of a case description.

Key words: metaphor analysis, social psychiatry, social control



Psychosoziale Arbeit ist bestimmt durch die Dialektik von Hilfe und Kontrolle. In der Sozialpsychiatrie lässt sich dieser Widerspruch besonders deutlich herausarbeiten. Das Ziel sozialpsychiatrischer Arbeit, selbstbestimmte Lebensentwürfe der KlientInnen zu unterstützen und zu fördern, steht im Gegensatz zu dem gesellschaftlichen Kontrollauftrag. Die Betroffenen sollen bei der Integration in ihre Lebenswelt unterstützt werden, andererseits soll die Umgebung vor den "Wahnsinnigen" geschützt werden. Hilfe und Kontrolle bestimmen so die Tätigkeit der sozialpsychiatrischen Fachleute (Keupp, 1998). Konzeptpapiere und Außendarstellungen1 der sozialpsychiatrischen Institutionen sind geprägt von Formulierungen, die für die Seite der Hilfe und Unterstützung stehen, für die Ermächtigung der Betroffenen, für das Ermöglichen von selbstbestimmten Lebensentwürfen. Auch die Berufswahl und die professionelle Identität der MitarbeiterInnen ist geprägt von der Idee, Menschen zu helfen (Schmidbauer, 2009). Trotzdem müssen professionelle HelferInnen ständig im Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Anpassungsforderungen auf der einen und dem Wunsch nach eigensinnigen Lebensentwürfen auf der anderen Seite handeln. Im Extremfall erhält ein Klient auch gegen seinen Willen eine psychiatrische "Hilfe" in Form einer Zwangsbehandlung. Worin begründet sich dieses Paradox des "hilfreichen Zwangs"? Scheinbar in der Natur der psychischen Erkrankung, die dem Menschen die verantwortungsvolle Entscheidung über seine Handlungen unmöglich macht. Daraus folgt, dass dem Kranken, gegen seinen kranken Willen, wenn nötig mit Gewalt, geholfen werden muss. Die Hilfe entspringt dem Gesunden, dem Vernünftigen und soll den Kranken dorthin zurückbringen. Damit ist das Dilemma aufgelöst, im Sinne der Herrschaft des gesunden Verstandes über die kranke Verirrung2. Mit der Konstruktion der "Fehlenden Krankheitseinsicht" wird aus Kontrolle (Zwang) doch wieder Hilfe (zwangsweise psychiatrische Behandlung des Patienten). Damit scheint die Dialektik von Hilfe und Kontrolle im Sinne der Hilfe aufgelöst. Dieser einseitigen Perspektive soll in dem folgenden Artikel widersprochen werden.

1. Zur Geschichte der Sozialpsychiatrie

Zur weiteren Diskussion der Fragen von Hilfe und Kontrolle ist es notwendig, kurz die Geschichte der psychiatrischen Versorgungssituation in Deutschland in Anlehnung an Kardorff (1995) zu skizzieren: Das medizinisch dominierte Psychiatriemodell der großen Anstalten war in den 70er Jahren zunehmender Kritik ausgesetzt. Schlagwörter wie "Drehtür-Psychiatrie" und "Hospitalisierung" sollten verdeutlichen, dass die verwahrende und einseitig medikamentöse Behandlung nicht der Re-Integration psychisch Kranker in die Gesellschaft dient. Als Alternative entstanden zunächst Modelle von gemeindenahen Einrichtungen, die sozialpädagogische/sozialpsychologische Konzepte vertraten und den psychisch Kranken durch ambulante Versorgung in ihrer Lebenswelt längere Krankenhausaufenthalte ersparen sollten. Diese Einrichtungen, Sozialpsychiatrische Dienste, Wohngemeinschaften und Arbeitsprojekte wurden schließlich Teil der Regelversorgung und teilweise durch Bettenabbau in den großen Kliniken finanziert. Nach wie vor dominiert in den Kliniken das medizinische Krankheitsbild, aber dort und in der sozialpsychiatrischen Versorgung wird es ergänzt durch soziale Hilfen für psychisch Kranke. Diese Veränderungen waren auch ökonomisch motiviert, da die stationäre Behandlung teurer als die ambulante Versorgung ist. Aber der Anlass der Reform lag in der humanistischen Empörung über die unmenschliche Behandlung von Kranken. Die zunächst sehr radikalen Forderungen der Kritiker der Psychiatrie (Wienand, 1987) fanden in Vermittlung mit dem Bestehenden schließlich ihren Ausdruck in dem oben genannten Umbau der Psychiatrie. Die Sozialpsychiatrie steht demnach für folgende psychiatrische Reformen:

  1. Das biologisch-medizinische Krankheitsbild wird durch ein soziales Verständnis von psychischem Leiden ergänzt, das die KlientInnen in ihren belastenden wie auch unterstützenden sozialen Bezügen wahrnehmen. Während in der Klinik ÄrztInnen Kraft ihres medizinischen Wissens Expertenlösungen anbieten, unterstützen die sozialpsychiatrisch Tätigen individuelle Lösungsversuche der KlientInnen, als Schritte zu einem selbstbestimmten Leben.
  2. Die großen Kliniken werden durch kleinere gemeindenahe Einrichtungen ergänzt. Damit sind die psychosozial Tätigen vertraut mit den Verhältnissen vor Ort und können gemeinsam mit den KlientInnen integrative Strukturen (Patientenclubs, Arbeitsprojekte usw.) in der Gemeinde aufbauen. Einweisungen in die Klinik sollen durch unterstützende Krisenangebote in der Lebenswelt der KlientInnen vermieden werden.

Jedoch zeigt sich bereits in der Entstehungsgeschichte ein grundlegender Widerspruch der Sozialpsychiatrie: Sozialpsychiatrische Einrichtungen wie Tagesstätten, Wohngemeinschaften, Arbeitsprojekte und ambulante Beratungsstellen für psychisch Kranke entstanden Mitte der Siebziger Jahre in Deutschland als Alternative und Ergänzung zu der Versorgung durch niedergelassene NervenärztInnen und psychiatrische Kliniken. Wichtige Impulse für die Reformen kamen aus der Anti-Psychiatrie-Bewegung, die die repressiven Zustände (Elektroschocks, Fesselung, Verwahrung) in den psychiatrischen Kliniken offenlegte, kritisierte und in ihrer radikalsten Form die komplette Auflösung der Krankenhäuser forderte (Wienand, 1987). Innerhalb dieser sehr heterogenen Bewegung gab es selbstorganisierte PatientInnengruppen (Sozialistisches Patientenkollektiv) und Versuche, PatientInnen und die Bevölkerung bei der Gestaltung der psychiatrischen Versorgung zu beteiligen, z.B. die demokratische Psychiatrie in Italien (Basaglia, 1974; Jervis, 1978). Diese Ansätze lassen sich aus heutiger Sicht als Versuche der Machtverlagerung von den ExpertInnen zu den Betroffenen und deren MitbürgerInnen verstehen. Diese politischen und gesellschaftskritischen Ansätze konnten sich jedoch im weiteren Verlauf der Reformbewegung nicht durchsetzen. Die Sozialpsychiatrie als Reformbewegung wurde zwar von kritischen ExpertInnen entworfen und gestaltet, aber weitgehend ohne Beteiligung von Betroffenen. Im Gegensatz zur radikalen Kritik der Anti-Psychiatrie steht die Sozialpsychiatrie somit in einem ambivalenten Verhältnis zur klassischen Anstaltspsychiatrie: Sie arbeitet mit ihr zusammen und ist ihre Kritikerin. Durch diesen double-bind, die gesellschaftliche Ordnungsfunktion der Psychiatrie zu erfüllen und gleichzeitig einen integrativen gesellschaftlichen Umgang mit den "Verrückten" zu vertreten, gerät die Arbeit in der Sozialpsychiatrie in einen Zwiespalt, der sich in ihren Konzepten wie in ihrer Praxis niederschlägt. So stehen sozialpsychiatrische Einrichtungen den biologisch-medizinisch dominierten Behandlungskonzepten der Klinik kritisch gegenüber, müssen aber aufgrund mangelnder Alternativen Klienten in Krisensituationen in die Klinik einweisen. Die vergleichsweise offene und wenig kontrollierende Beziehung zwischen HelferIn und KlientIn im sozialpsychiatrischen Setting ist abhängig von der Möglichkeit der Delegation von repressiven Zwangsmaßnahmen an Nervenärzte oder die Polizei.

2. Interviews mit Mitarbeiter/innen aus Sozialpsychiatrischen Diensten

Wie gehen die Professionellen mit diesen Widersprüchen um? Am Beispiel des Sozialpsychiatrischen Dienstes (SpDi) soll dies im Folgenden untersucht werden. Der SpDi ist Bestandteil der gemeindenahen Versorgungsstrukturen, also für einen bestimmten regionalen Bereich (Stadtviertel, Landkreis) zuständig. Die MitarbeiterInnen (SozialpädagogInnen, PsychologInnen, ÄrztInnen) des SpDi arbeiten mit den anderen psychosozialen Institutionen (NervenärztInnen, Sozialdienst, Klinik, ...) in ihrem Einzugsgebiet zusammen. Sie sind zuständig für alle Anfragen von psychisch Kranken, ihren Angehörigen, Nachbarn und von den psychosozialen Institutionen in Bezug auf psychische Erkrankung. Ihre Tätigkeit besteht aus Hausbesuchen, Beratungsgesprächen, Krisen- und Langzeitinterventionen, Vermittlung von Arbeit und finanziellen Hilfen. SpDi haben den Anspruch, lebensweltbezogene, ganzheitliche Hilfen anzubieten (Berger & Schirmer, 1993; Flick, 1993). Im Rahmen meiner Dissertation (Quindel, 2004) habe ich zwölf halbstrukturierte Interviews mit Psychologen/innen, Sozialpädagogen/innen und Ärzten aus Sozialpsychiatrischen Diensten in Bayern und Berlin geführt. Die folgende Tabelle zeigt eine Übersicht der Interviewpartner/innen in Berlin und Bayern, mit Namen3, ihrem Lebensalter, Profession und Dauer der Tätigkeit im SpDi.

Abbildung 1
Berlin
Andreas
48 Jahre Arzt
11 Jahre SpDi
Ludwig 58 Jahre Arzt
18 Jahre SpDi
Petra 52 Jahre Psychologin
17 Jahre SpDi
Susanne 48 Jahre Sozialpädagogin
21 Jahre SpDi
Bayern
Bettina 30 Jahre Psychologin
2 Jahre SpDi
Carsten 53 Jahre Psychologe
6 Jahre SpDi
Doris 44 Jahre Sozialpädagogin
2 Jahre SpDi
Ernst 44 Jahre Sozialpädagoge
10 Jahre SpDi
Fritz 49 Jahre Sozialpädagoge
3 Jahre SpDi
Gudrun 33 Jahre Sozialpädagogin
3 Jahre SpDi
Monika 42 Jahre Sozialpädagogin
4 Jahre SpDi
Vera
42 Jahre Sozialpädagogin
15 Jahre SpDi

 

In den Interviews dienten folgende Fragen als Erzählanstöße:

  • Was ist das Ziel Ihrer Arbeit?
  • Was bedeutet psychische Gesundheit für Sie?
  • Gibt es Konflikte in Ihrer Beziehung mit den Klienten?
  • Gibt es Situationen, in denen der Auftrag der Institution und die Bedürfnisse der Klienten in Widerspruch stehen?
  • Was macht Ihnen Spaß und Freude, was macht Ihnen Angst im Kontakt mit den Klienten?
  • Weshalb haben Sie sich die Arbeit in einem Sozialpsychiatrischen Dienst ausgesucht?

Zur Frage des vorliegenden Artikels, zum Umgang mit dem Spannungsfeld Hilfe und Kontrolle, lohnt es sich die Interviewäußerungen zu der spezifischen Problematik der "Einweisung in die Klinik" erneut zu betrachten. Äußerungen zum Thema "Einweisung in die Klinik" eignen sich für eine Analyse, weil sie einen besonders kritischen Punkt in der Beziehung zwischen Professionellen und KlientInnen darstellen. Die Einweisung in die Klinik ist meist Höhepunkt und Ende einer krisenhaften Zuspitzung. Der Übergang vom Leben außerhalb zum Leben innerhalb der Klinik ist eine einschneidende Veränderung für die KlientInnen, es ist der eindeutige Schritt von der Normalität in die Abweichung, ein Beweis des Krankheitsstatus. Außerdem die Erfahrung eines Kontrollverlustes, wenn die KlientInnen gegen den eigenen Willen in die Klinik gebracht werden. Die sozialpsychiatrisch Tätigen werten die Einweisung häufig als ein Scheitern der eigenen Bemühungen. Darüber hinaus werden sie mit der kontrollierenden Seite der Tätigkeit konfrontiert, wenn die KlientIn nicht freiwillig in die Klinik geht. Es ist zu vermuten, dass in den Äußerungen zu diesem Bereich der Konflikt zwischen Hilfe und Kontrolle besonders deutlich wird. In Rahmen meiner Dissertation habe ich die Interviewäußerungen inhaltsanalytisch (Mayring, 2010) und diskursanalytisch (Jäger, 2012) ausgewertet. Im Folgenden sollen nun die Äußerungen zum Thema "Einweisung in die Klinik" metaphernanalytisch ausgewertet werden.

3. Warum Metaphernanalyse?

"Die Betrachtung der metaphorischen Feinstruktur der Sprache ist vor allem geeignet, imaginative Gehalte des Sprechens zu beachten, die ignoriert würden, wenn man die Sprache nur als Informationstransport auffassen würde. Die Würdigung der Imagination, des Reiches der Vorstellungen und höchst subjektiv-privater Auffassungen, rückt die Metaphernanalyse sehr nah an das psychoanalytische und tiefenpsychologische Zentralinteresse: etwas über die seelische Innenwelt in Erfahrung bringen zu wollen" (Bulla et al., 2005, S.66).


Die Metaphernanalyse ist also geeignet, den latenten Sinngehalt von Äußerungen zu Tage zu fördern. Metaphern kann man psychoanalytisch als Ausdruck von unbewussten Inhalten betrachten. Kognitionspsychologisch und konstruktivistisch betrachtet, strukturieren Metaphern das Denken und Sprechen, indem sie Bilder anbieten, in denen komplexe Sachverhalte sinnlich erfahrbar werden. Mit Bezug auf Lakoff und Johnson (2011) zeigt sich diese strukturierende Form in sogenannten "Konzeptuellen Metaphern": Konzeptuelle Metaphern transportieren Bilder aus einem prägnanten und vertrauten Bereich (Quellbereich) in einen Bereich, der noch unvertraut und unstrukturiert ist (Zielbereich). So zum Beispiel "Zwangsmaßnahme" oder "psychische Störung". Hier werden als Begriffe aus dem Quellbereich der Naturwissenschaft ("Messen") und der Technik ("Störung") dem Zielbereich der Rechtswissenschaft und der Medizin zugeordnet. Wählen Professionelle bestimmte Metaphern für bestimmte Phänomene, dann kann über die Analyse der Bedeutungen der Metaphern eine zweite Ebene neben der inhaltlichen beleuchtet werden. Also eine Art mitschwingende Bedeutung neben den Aussagen an der Oberfläche. Die Metapher...

 

"... reduziert die Komplexität psychischer Erscheinungen, die primär nichtsprachlich verfasst sind, zu einleuchtenden und klar strukturierten Bildern; sie vermittelt darüber hinaus durch die Sprachtradition ein Gerüst, auch das Unfassliche in Worte fassen zu können [...] Metaphorische Beschreibungen überspringen die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, indem sie eine Szene konstruieren" (Schmitt, 1997, S.71).


Der Erkenntnisgewinn durch eine Metaphernanalyse beruht demnach auf folgenden Funktionen konzeptueller Metaphern (Bulla et al., 2005, S.68):

  • Selektion (die Wahl einer Metapher schließt andere Metaphern aus)
  • Kommentar (eine Metapher ist eine Art Stellungnahme des Sprechers zum jeweiligen angesprochenen Thema)
  • Evaluation (eine Metapher transportiert eine Bewertung)
  • Kreativität (Anwendung einer Metapher ist ein schöpferischer Prozess)

Die subjektiven Positionierungen in den Interviews werden mit Hilfe der Metaphernanalyse also deutlicher, weil neben der "offiziellen" inhaltlichen Positionierung zum Thema "Einweisung in die Klinik" auch mitschwingende, ergänzende und eventuell entgegen gesetzte Positionierungen deutlich gemacht werden können. Die verwendeten Metaphern dienen den Professionellen zur Orientierung im Feld, indem sie bestimmte Eigenschaften einer Thematik hervorheben und andere ausblenden. Metaphern sind zwar notwendig, um in dem komplexen Feld sozialpsychiatrischer Praxis handlungsfähig zu bleiben, um Komplexität zu reduzieren. Bleibt man jedoch in einer Metaphorik, dann ist man unflexibel, man betrachtet alle Phänomene nur aus einem Blickwinkel. Dagegen spricht eine heterogene Verwendung von Metaphern für eine flexiblere Sicht der Arbeit. Eine Metaphernanalyse kann demnach die "blinden Flecke" von metaphorischen Konzepten herausarbeiten (Schmitt, 2009). Dies soll im Folgenden mit Aussagen zum Thema "Einweisung in die Klinik" unternommen werden.

4. Methodisches Vorgehen in der Metaphernanalyse

Um die Metaphern aus den Interviews herauszuarbeiten, orientiere ich mich an dem methodischen Vorgehen von Schmitt (1997).

a) Identifizieren des Zielbereiches der Metaphernanalyse: Gegenstand sind alle Erzählungen in den Interviews, die primär das Thema "Einweisung in die Klinik" zum Gegenstand haben (insgesamt ca. 800 Zeilen in den 12 Interviewtranskripten).

b) Unsystematische Sammlung des metaphorischen Hintergrundes: Schmitt empfiehlt die Sammlung von Metaphern in Fachtexten, anderen empirischen Untersuchungen zum Thema, um diese mit den eigenen Ergebnissen zu vergleichen. Ich nutze die Sammlung von Schmitt (1995), der Metaphern aus den Interviews von Einzelfallhelfern in der Arbeit mit psychiatrischen KlientInnen gesammelt hat.

c) Dekonstruierende Zergliederung der Texte in ihre metaphorischen Bestandteile: Ich habe die Interviewpassagen in mehreren Durchläufen nach metaphorischen Wendungen durchsucht. Die gefundenen Formulierungen habe ich zunächst für jede/n InterviewpartnerIn in einer anderen Farbe markiert und dann mit der Schere ausgeschnitten. Mit Hilfe der "Mind-map"-Technik habe ich die Papierschnipsel zu Metaphernfeldern geordnet. In den Interviewtranskripten ließen sich 345 Metaphern finden, die sich in 4 große und 5 kleine Felder ordnen ließen.

Abbildung 2
Große Metaphernfelder
Wege (Gehen, Richtung)
78 Metaphern
Gewicht (Schwer-Leicht, Fallen, Lage)
55 Metaphern
Technik (Elektrotechnik, Messen, Geometrie)
51 Metaphern
Kampf (Körper, Weich-Hart, Kampf, Jagd, Zerbrechen)
50 Metaphern
Kleine Metaphernfelder
Optik
30 Metaphern
Grenzen
23 Metaphern
Verwicklungen
15 Metaphern
Drama
11 Metaphern
Akustik
8 Metaphern


Mittels einer Tabelle habe ich nach besonders auffälligen Häufungen einer bestimmten Art von Metaphern bei einer Profession (Psychologie/Medizin/Soziale Arbeit), einem Geschlecht oder bei einzelnen Personen gesucht. Verglichen habe ich auch die MitarbeiterInnen der SpDi in Berlin und Bayern. Sollten sich Auffälligkeiten herausgestellt haben, so sind sie in der folgenden Darstellung beschrieben.

5. Die Ergebnissen der Metaphernanalyse im Überblick

Im Folgenden wird ein Einblick in die neun Metaphernfelder vermittelt, indem die gefundenen Metaphern mit ihrem Kontext in Erzählungen eingebettet werden. So soll sich für die LeserIn ein Blick auf das sozialpsychiatrische Feld durch die Brille der jeweiligen Metaphorik ergeben. Die jeweiligen Metaphern sind kursiv geschrieben. Soweit Namen von Interviewpartner/innen fallen, sind die in diesem Zusammenhang aufgeführten Metaphern diesen zuzuordnen. Ansonsten habe ich die Metaphern aus verschiedenen Interviews zusammengestellt.

5.1 Technische Metaphern

Vor allem die Frage des Kontaktes zu den Klienten beschäftigte die Interviewpartner/innen. Der Kontakt selbst, oder der Versuch ihn zu ermöglichen wurde als spannungsvoll erlebt. Bei einer Zwangsstörung oder Ich-Störung und bei einem Klient ohne Anschluss entstehen Probleme, etwas funktioniert nicht. Vielleicht hatte der Klient bereits etwas signalisiert, aber es fehlten die Antennen bei den Professionellen? Nun gilt es aufzupassen, dass man nicht zu sehr in der Dynamik drin ist, um nicht völlig fassungslos dabeizustehen. Vielleicht lässt sich ein Draht finden, indem man die Gegenübertragung beachtet? Oder man muss, um die Sache zu regeln, doch das Gesundheitsamt einschalten. Wenn man dem Sinn der Metaphern aus der Elektrotechnik nachgeht, dann ist das Ziel aller Anstrengungen der ungehinderte Stromfluss. Bei den psychiatrischen Klienten ist dieser Fluss gestört. Wenn der gebräuchliche Begriff Störung fällt, ist die Ursache des Problems in den Klienten verlagert, das entspricht dem medizinischen Modell. Diese Metapher findet sich bezeichnenderweise nur in den Äußerungen der beiden Ärzte. Bei der Formulierung ohne Anschluss erweitert sich die Betrachtungsebene um die sozialen Bezüge des Klienten. Alle anderen oben angeführten Metaphern des elektrotechnischen Modells gehen noch einen Schritt weiter: Sie legen Erklärungen nahe, die die Professionellen in den Stromregelkreis miteinbeziehen und ermöglichen einen systemischen, selbstreflexiven Zugang zur Problematik. Diese komplexere Dynamik hat jedoch den Preis, dass sie nicht so leicht beschreibbar und fassbar ist. Eine Reihe von Metaphern aus dem Feld der Geometrie spiegelt dieses Problem. So beschreibt Bettina ihre Verwirrung, ihr außer sich sein an anderer Stelle mit der Metapher, sie sei im Dreieck gesprungen. Andreas verlässt in der geometrischen Metaphorik seine Ebene mit dem Patienten und sucht nach Mustern in dem Verhalten des Gegenübers. Er unterscheidet zwischen der objektiven Ebene und anderen Faktoren in der Entscheidung für oder gegen eine Einweisung. Nach dem metaphorischen Ausflug in die zwei- und dreidimensionalen Weiten entsteht Sehnsucht nach dem Eindeutigen: Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Entscheidung für eine Einweisung fallen muss. Auf meine Frage, ob er sich Sozialpsychiatrie ohne Zwangsmaßnahmen vorstellen kann, meint Carsten, wenn soziale Psychiatrie keinen Ansatzpunkt mehr findet, dann stehen Zwangsmaßnahmen im Raum. Er sei aber so geduldig, immer wieder einen neuen Ansatzpunkt zu suchen, einen neuen Kreis zu schlagen. Eine zu große Komplexität in der Metaphorik, auch wenn sie dem Gegenstand angemessen ist, droht handlungsunfähig zu machen. Damit wird das Feld anderen überlassen, die nach einfacheren Modellen handeln: Der Polizei, den Richtern oder dem Gesundheitsamt. Vor allem die Ärzte der Berliner Dienste sind ständig mit Situationen konfrontiert, in denen sie sich schnell entscheiden müssen. In diesen Entscheidungsprozessen erscheinen häufig die Metaphern des Messens. Metaphern wie Güterabwägung, Ermessens-Spielraum und Hilfemaßnahmen klingen unterstützend und stehen für Offenheit und Berücksichtigung vieler Seiten. Bei den Zwangsmaßnahmen allerdings ist die Offenheit geschlossen. Es kommt darauf an, wie die Professionellen die Situation einschätzen und welchen Maßstab sie nehmen. Metaphern aus dem Bereich Technik werden von den männlichen doppelt so oft wie von den weiblichen Interviewpartner/innen verwendet. Das erscheint nicht überraschend, weil Technik in unserer Kultur ein männlich besetztes Feld ist.

5.2 Metaphern des Weges

Das Feld mit den mit Abstand meisten Metaphern ist das des Weges. Auch in der Untersuchung von Schmitt (1995) sind die Metaphern des "auf den Weg bringen" die meistgenannten. Bei Schmitt tauchen die Metaphern jedoch eher in der positiv nach vorne gerichteten Gemeinsamkeit von Helfer und Klient auf. Da ich meine Metaphernanalyse auf den Bereich der Einweisungen in die Klinik bezogen habe, ist das Ergebnis ein anderes. Lediglich in den Äußerungen von Petra schlägt sich die, stark von ihrem klientenzentrierten Zugang beeinflusste, positive, wachstumsorientierte Konnotation der Wegemetapher auch in Einweisungssituationen nieder: Sie begleitet die Klienten auf diesem Weg, auf ihrer Seelenreise. Auch wenn ihre Klienten zeitweise in die Klinik gehen, gehen sie doch wieder zurück in ihr Leben. Die Metaphern des Weges, die bei den anderen Interviewpartner/innen auftauchen, sind weniger bestimmt durch das empathische Mitgehen. Sie zeigen den Kontrollauftrag der sozialpsychiatrischen Arbeit: Die Professionellen achten darauf, dass der Klient den richtigen Weg nicht verlässt, oder allgemeiner, dass es läuft. Am Anfang steht die Frage, wie es denn läuft. Solange es noch relativ gut geht, ist alles in Ordnung. Ein Problem zeigt sich dann, wenn es so einfach nicht geht. Die Folgerung ist, das geht nicht gut aus. Das es in den Metaphern bleibt unbestimmt. Es kann alles Mögliche sein, wichtig ist nur, dass es läuft oder geht, also in Bewegung ist. Warum darf es nicht stehen bleiben, ruhig verweilen? Darüber wird keine Auskunft gegeben. So unbestimmt die Metaphorik des Gehens und Laufens bleibt, begründet sie doch die Unausweichlichkeit professioneller Interventionen:es geht nicht anders. Warum nicht? Der Klient steckt in einer Sackgasse oder es geht den Berg runter. Das bewegt den Professionellen, denn er weiß, wie das läuft: Manchmal hilft das Brücken bauen nichts. Erst geht es zehn Minuten lang gut, aber bald ist der Klient wieder umgeschwenkt oder abgebogen. Dann muss der Professionelle die nächsten Schritte einleiten. Der Klient wird dazu gedrängt, in die Klinik zu gehen. Neben der Unbestimmtheit des "es",das laufen oder gehen soll, sind es die fatalistischen Bilder, die wenig kreative Ideen und Handlungsimpulse fördern: Eine Sackgasse ist nun mal eine aus schweren Steinen gemauerte Falle und vollkommen unabhängig von den Kompetenzen des Klienten und der Dynamik seiner Beziehungen. Der Klient wird als orientierungslos und defizitär, die Umwelt statisch konstruiert. Die logische Folge ist das direktive Eingreifen des Professionellen, der den richtigen Weg kennt und die Wege, die der Klient einschlägt, nur als Abweichen vom richtigen Weg erkennen kann, der in diesen Fällen in die Klinik führt. Der Sinn in dem Umschwenken und Abbiegen des Klienten wird nicht verstanden. Eine große Zahl von Metaphern beschäftigt sich mit der Richtung, in die der Weg führt: Wenn nach langem hin und her deutlich wurde, dass die Klientin wirklich sehr, sehr schräg drauf ist, verrückte Gedanken hat und verrückte Sachen macht, muss sich der Professionelle fragen, wo sind wir denn? Wenn es darum geht, eine Gefahr abzuwenden, stellt sich die Frage, weist man ein, weist man nicht ein? Bevor eine Zwangseinweisung in eine stationäre Einrichtung erfolgt, sollte man dem Klienten die Optionen aufzeigen und auf die versteckten Hinweise des Klienten achten. Die Entscheidung für Zwangsmaßnahmen ist nicht einfach, die Professionellen fragen sich, ist das der richtige Weg? Was richtet man an? Diese Metaphorik ist geprägt von der Frage nach Orientierung. Es gibt offensichtlich eine Normalität, einen fiktiven Weg, von dem verrückte Menschen abweichen. Wenn sie schräg drauf kommen, sollte die Intervention, das Einweisen oder die Einrichtung möglichst bald erfolgen, denn der Klient entfernt sich mit der Zeit immer weiter vom richtigen Weg. Für manche Professionelle ist es jedoch gar nicht so klar, wo eigentlich der richtige Weg verläuft. Das Fatale an der Metaphorik ist jedoch, dass es trotz dieser Zweifel offensichtlich nicht möglich ist aus der binären Logik: schräg-gerade, verrückt-normal, falscher Weg-richtiger Weg auszusteigen.

5.3 Metaphern des Kampfes

Die Beziehung in der kritischen Situation der Einweisung wird häufig mit Metaphern des Kampfes beschrieben: Die reale handgreifliche Auseinandersetzung, in der der Professionelle in den Schwitzkasten genommen wird und auf den Boden gedonnert, ist die große Ausnahme. Meistens klappt es auf Anhieb auch ohne die harten Bandagen, auch wenn die Professionellen oft damit ringen, eine Art Vollstreckungsgehilfe bei der Einweisung zu spielen. Manchmal ist es auch der Angehörige, der wie ein strammer Feldwebel durch die Institutionen marschiert und einen Einweisungsbeschluss erwirkt. Der Kampf ist etwas, was sehr unangenehm besetzt ist. Die Professionellen beschreiben sich mit Metaphern der Jagd selbst als die Opfer, die gejagten Tiere: Vor der unangenehmen Einleiten von Zwangsmaßnamen scheut man sich, man wird in die Rolle der Kontrollinstanz reingedrängt. Die Klinik wird als ein Ort bezeichnet, in den der Klient sich auch verkriecht. Andreas fragt sich, aus welchen Gründen er sich in manchen Fällen um eine Einweisung bemüht und in anderen nicht: Was hat mich geritten, was treibt mich? Er hat den Eindruck, dass jemand ihn zu den Einsätzen hinjagt. Die Spannung in den Kriseneinsätzen zeigt sich in dem Metaphernfeld weich-hart. Andreas ist der Meinung, wenn es um die harten Fakten von Selbstgefährdung geht, geht es darum, brenzlige Situationen zu entschärfen. Da kann man selten seine weiche Seite zeigen. Bettina dagegen hat sich fest vorgenommen, konsequent zu sein und ist dann doch weich geworden. Sie sehnt sich heimlich nach der Zeit zurück, in der sie als Praktikantin nicht die ganz harten Gespräche geführt hat und die ganz harten Sachen veranlasst hat. Das hatten damals hauptamtliche MitarbeiterInnen übernommen. Die emotionale Energie, die Mischung aus Angst und Aggression, die sich in diesen Äußerungen zeigt, schlägt sich in Metaphern des Körpers nieder. Die Hälfte aller Metaphern des Körpers findet sich in Äußerungen von Bettina: Die Krisensituation der Klientin hat sie emotional sehr berührt, es ging ihr wirklich an die Nieren, die Knie haben ihr ganz schön geschlackert, es ging ihr hundelendund sie musste für die Zwangseinweisung auch noch den Kopf hinhalten. Gudrun hat die blutige Selbstverletzung eines Klienten hautnah mitgekriegtund Ludwig zitiert eine Betreuerin, die von einem Klienten beschimpft wird: "Der macht mir Magenschmerzen". Ausschließlich Frauen benützen Körpermetaphern um ihr eigenes emotionales Erleben zu beschreiben. Sie erscheinen dadurch verletzlicher. Männliche Interviewpartner ziehen es vor, indirekt über Gefühle zu reden, indem sie Geschichten erzählen, in denen Klientinnen oder Kolleginnen Angst haben, empfindlich oder verletzlich sind. In allen Fällen dient der eigene oder fremde Körper als Resonanzorgan für die emotionalen Dramen, die sich in Krisen und bei Zwangsmaßnahmen abspielen. Eine Sonderform der Körpermetapher ist die Unterscheidung zwischen schmutzigen und sauberen Körpern. Hier ist der Blick nur auf den Körper der KlientInnen gerichtet, die selbstreflexive Ebene fehlt: Eine Klientin kommt frisch nach Hause, der einsehbare Teil der Wohnung einer suizidgefährdeten Klientin istsauber, ein psychotischer Klient wird angesprochen: "Mach keinen Scheiß". Es lässt sich eine Unterscheidung treffen, zwischen dem klassischen Klientel, dem stinknormalen Verrückten und den Klienten, die eine Psychotherapie aufsuchen. Mit Hilfe dieser Metaphorik werden Unterschiede konstruiert zwischen dem sauberen (gesunden) und dem schmutzigen, stinkenden (kranken) Körper. Neben diesen abwertenden und stigmatisierenden Beschreibungen der KlientInnen zeigen sich auch Ängste und Mitleid, die sich in den Metaphern des Zerbrechens äußern. Körperliche und psychische Gebrechlichkeit des Klienten verschmelzen mit der Zerbrechlichkeit der Beziehung zwischen Klient und Professionellen in diesen Bildern. Die Zwangseinweisung in die Klinik wird als eine Situation metaphorisiert, die irreperable Schäden hinterlässt. Die Klientin ist gebrechlich, der Klient klappt zusammen, die Beziehung zum Professionellen wird vom Klienten abgebrochen, das Vertrauensverhältnis durch die Zwangsmaßnahme kaputtgemacht. KlientInnen haben Angst, dass sie, wenn sie von brüchigen Situationen erzählen, als psychotisch diagnostiziert und zwangseingewiesen werden.

5.4 Metaphern von Gewicht

Metaphern, die die Belastung der Klienten und die entsprechende Unterstützung durch die HelferInnen zum Inhalt haben, fanden sich auch bei Schmitt (1995). Der negative Pol des Metaphernbereichs schwer-leicht ist in den Interviewpassagen weit häufiger vertreten. Für Andreas ist die Arbeit mit Menschen, die unter einem schweren Psychosyndrom oder schweren Beeinträchtigungsgefühlen leiden, anstrengend. In der Arbeit mit den Klienten hat es Andreas ganz schwer, er trägt die Verantwortung auf seinen Schultern. Er muss sich rechtfertigen, wenn er nach einer Zwangseinweisung beschuldigt wird, die Klientin verschleppt zu haben. Für Carsten sind Zwangsmaßnahmen belastend. Die Anstrengung, die diese Metaphorik transportiert, zeigt sich besonders bei Doris und ihrem Problem, sich von dem vermeintlichen Leiden der Klienten abzugrenzen: Sie hat mit wirklich schwerstgestörten Menschen zu tun, die aber eine medikamentöse Behandlung verweigern. Es ist schwer, das auszuhalten undsie so zu nehmen, wie sie sind. Sie hat einem Klienten abgenommen, dass er sich nicht umbringen will, aber ein leichter Zweifel ist noch in ihr. Die Schwere der Krankheit liefert in der Logik der Metaphorik die Erklärung, warum die Arbeit so belastend ist. Betrachtet man aber die nachfolgenden Anwendung der Metaphern erscheint das Belastende das eigene schlechte Gewissen zu sein: Fritz fällt es durch seine Erfahrungen als Betreuer leichter, Zwangsmaßnahmen einzuleiten. Gudrun erleichtert es, dass ein Klient die Selbstverletzung, die sie nicht hat verhindern können, in der geschlossenen Abteilung der Klinik wiederholt hat und damit nachträglich die Einweisung rechtfertigt. Ein weiterer Metaphernbereich lässt sich mit fallen und landen umschreiben. Der Klient kriegt einen Anfall, möchte aberauf keinen Fall in die Klinik. Aber das Klientel, was dann hier landet, kommt aufgrund von Notfallmeldungen. Als die Klientin dann wieder ein bisschen herunten war, konnte man klar machen, dass, wenn es so weiter geht, sie wieder im Bezirkskrankenhaus landet. In der Metaphorik des Fallens ist das Ausgeliefertsein, das Nicht-steuern-können, das Boden-unter-den-Füßen-verlieren ebenso enthalten wie die Gefahr eines harten Aufpralls, je nachdem wie tief der Fall ist. Sie löst also zunächst Sorge aus.

5.5 Optische Metaphern

Eine große Zahl der optischen Metaphern bezieht sich auf den Blick der Professionellen. Viele Krisensituationen kann man nichtvorhersehen, man muss gucken, wie sich die Situation darstellt. Manchmal übersieht man etwas oder gefährliche Situationen werden ausgeblendet, die Professionellen haben eine Blindheit, einen blinden Fleck in Bezug auf ihre Gefährdung durch gewalttätige Klienten. Demgegenüber wird häufig die Metapher klar verwendet, wenn die Eindeutigkeit der eigenen Position betont werden soll. Der Klient sollte einsichtsfähig sein, die Aufgabe des Arztes ist festzustellen, ob er klar im Kopf ist, einen klaren Willen hat. Wenn der Klient es nicht so sieht wie der Professionelle, ist es wichtig, ihn aufzuklären. Wichtig ist es, dasEinsicht da ist, sonst kommt der Professionelle in die Position, wo er einfach zuschauen muss und nicht mehr handeln kann. Nach längerer Berufserfahrung hat der Professionelle mittlerweile den Blick festzustellen, ob Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, und er kann vermeiden, das zu übersehen. Ist die Entscheidung für eine Zwangseinweisung schwierig, spiegelt sich das auch im Team wider. Die optischen Metaphern werden doppelt so häufig von Männern wie von Frauen eingesetzt. Sie haben im Gegensatz zu den Kampf- und Körpermetaphern eine große emotionale und körperliche Distanz. Das verbindet sie mit den technischen Metaphern, die auch überwiegend von Männern gebraucht werden. Neben der Distanzierung ist die Kontrolle ein wichtiger Effekt. Der Kontrollblick kommt von außen, die KlientIn soll möglichst klar (=durchschaubar) und aufgeklärt (=vernünftig) sein.

5.6 Metaphorik der Grenzen

Am häufigsten beziehen sich Grenzmetaphern auf innen und außen. Innen symbolisiert meist das subjektive psychische Erleben, das sich nach außen zeigt, oder von außen beeinflusst wird: So handeln Klienten aus paranoiden Ängsten heraus. Ein Verhalten ist Ausdruck einer Pathologie, denn es stellt sich heraus, dass sie eine maniforme Psychose hat. Manche Geheimnisse kann man vielleicht auf der Couch rauskriegen.Selbstaggressives Verhalten kann auch nach außen losgehen. Jemand kann aber auch in innere Not geraten. Manchen Klienten wollen nach innen gehen, nach innen schauen, sie öffnen sich der Therapeutin. Durch diese Öffnung entsteht ein anderes Verhältnis zum Helfersystem. Gibt es diese Öffnung nicht, dann wird oft ein Eingriff in die Freiheitsrechte notwendig, die Professionellen müssen massiv in das Leben des Anderen eingreifen, wobei der Grundsatz gilt, der geringste Eingriff wie nur möglich. Ein Teil der Metaphorik bezieht sich auf die Normalitäts-Grenze, die überschritten wird und eben dieses massive Eingreifen notwendig macht: Ein Klient ist jenseits von Gut und Böse, oder war schon sehr an der Grenze. Der Professionelle soll deutlich machen, wo die Grenzen sind. Die Metaphorik entspricht der Logik des medizinischen Krankheitsmodells, das den Wahnsinn als innere biologische Störung des Patienten begreift. Auch wenn man nicht alles erforscht hat und noch nicht alle Vorgänge neurologisch erklären kann, es ist etwas da und es ist in dem Patienten. Die Verbindung mit Spielarten des psychotherapeutischen Modells wird durch die therapeutische Metapher der Innenschau und des Sich-öffnens möglich. Der Anspruch, der Klient solle sich öffnen, lässt sich auch im Rahmen des Kontrollauftrages verstehen und gut mit den optischen Kontrollblick-Metaphern verbinden. Unverdeckt tritt die Kontrolle auf den Plan, wenn der Klient Normgrenzen überschreitet, sich nicht freiwillig öffnet. Dann werden Eingriffe von außen vorgenommen. Die duale Metaphorik des Innen und Außen kann jedoch nicht den Beziehungscharakter, die soziale Bedeutung der psychotischen Symptome symbolisieren.

5.7 Metaphern der Verwicklung

Wenn sich eine kritische Situation ein bisschen aufgelöst hat, ist das positiv, andererseits ist der Professionelle froh, wenn nichts los ist, nachdem er eine suizidgefährdete Klientin zu Hause besucht hat und in die Wohnung geschaut hat, ob was drin los ist. Eine Zwangseinweisung mit Polizei und Krankenwagen wird als das ganze Paket beschrieben. Die Bedingungen dafür sind gesetzlich festgeschrieben. Man kann sich eine Schweigepflichtsentbindung holen, einen Betreuer anleiern oder das jetzt durchziehen. Manchmal ist es ratsam, vorhereinen Kollegen zuzuziehen, um Optionen zu entwickeln. Der Klient kann die Professionellen in stundenlange Diskussionen verwickeln, der Professionelle hängt irgendwo mit drin, oder der Klient hat sich entzogen und dem Professionellen ist das irgendwo so entglitten. Die Metaphorik pendelt zwischen fest und lose. Wobei je nach Verwendung die eine Richtung oder die andere Richtung positiv besetzt ist. Es ist nicht gut, wenn etwas zu lose ist (haltlos) oder zu fest (Einschränkung der Beweglichkeit). Offensichtlich wird mit der Metaphorik Nähe und Distanz sowie Aktivität und Passivität beschrieben, wobei das jeweils unterschiedliche Bedürfnis nach Halt und der Wunsch nach Bewegung bei KlientInnen sowie Professionellen eine Rolle bei der positiven bzw. negativen Bewertung spielen dürfte.

5.8 Dramatische Metaphern

Metaphern aus dem Bereich des Theaters vermischt mit mythischen Figuren machen die Krisensituationen zu hochdramatischen Ereignissen: KlientInnen geistern und wettern, es geht zu wie im Zirkus. Den Professionellen gruselt es. Selbst mit Engelszungen war nichts zu erreichen. Während die oben genannten Metaphern eher zu Übertreibungen neigen, erscheinen die folgenden Spielmetaphern eher verniedlichend, dreht es sich doch um Suizid und Zwangsmaßnahmen: Der Spielraum für den Klienten wird kleiner, mit dem Klienten werden Optionen durchgespielt. Die Klientin spielt so mit ihren Tabletten. Metaphern aus dem Bereich des Dramas stellen Distanz her. Sie dienen zur Verfremdung.

5.9 Akustische Metaphern

Zunächst geht etwas von der Harmonie verloren: Hier stimmt irgendwas überhaupt nicht mehr oder: Da stimmt doch wieder was nicht. Etwas ist außerhalb des Harmonischen, es fällt auf, wenn auch noch nicht bestimmbar: Irgendwas spricht mich dann an. Wenn es deutlicher wird, spricht das Verhalten für sich und kann als Hilferuf verstanden werden. Dann geht es darum, den Klienten zu beruhigen. In manchen Fällen muss der Professionelle jedoch auch anklingen lassen, dass er das Verhalten nicht akzeptiert. Mit der akustischen Metaphorik werden Botschaften vermittelt. Botschaften, die noch diffus und nicht eindeutig sind, die es zu entziffern gilt. Eine Metaphorik für die feinen Zwischentöne, für das Unbestimmte.

Bereits durch die Zusammenstellung der 9 Metapherngruppen wurde deutlich, wie die Nutzung einer bestimmten Metaphorik den Diskurs über (Zwangs-) Einweisung in die Klinik bestimmt. Anhand der Metapherngruppen zeigte sich eine mehr oder weniger große Affinität zu medizinischen oder sozialen Erklärungsmodelle von psychischen Auffälligkeiten, es zeigt sich die Tendenz mancher Metapherngruppe zu polarisierenden Perspektiven und die Bevorzugung von linearen bzw. zirkulären Erklärungsmodellen. Mit den jeweiligen Metapherngruppen lassen sich Kontroll- und Zwangsaspekte der eigenen Tätigkeit erklären, entschuldigen oder vertuschen. Dies soll anhand eines Interviews noch einmal verdeutlicht werden.

6. Metaphernanalyse zur Rekonstruktion subjektiver Perspektiven

Anhand des folgenden Beispiels möchte ich versuchen die Metaphernanalyse mit der Rekonstruktion subjektiver Erzählperspektiven zu verbinden. Die Metaphernanalyse "erlaubt die Wahrnehmung eines emotionalen Klimas in der Welt der Untersuchten, vorbewusste Konflikte und unbewusste Inszenierungen, atmosphärische Polaritäten" (Schmitt, 1997, S. 79). Insofern ist sie ein wichtiger Zugang zu den latenten Sinninhalten der Interviews. Der folgende Ausschnitt aus dem Interview mit Bettina ist die mit Abstand längste zusammenhängende Erzählung, die sich mit der Thematik der Zwangseinweisung beschäftigt. Die Metaphern sind unterstrichen.

 

Ich kann mich an einen Fall erinnern, der ging mir wirklich an die Nieren; da war es so eine Frau, so Mitte dreißig, wo der Freund angerufen hat und gesagt hat, mit der stimmt irgendwas überhaupt nicht mehr, die geistert, die telefoniert mit der Steffi Graf, empfängt Botschaften übers Radio - so klassisch; dann bin ich zu ihr hingefahren und das war irgendwie so Abend schon, und da war nach einer Viertelstunde klar, die muss in die Klinik. Hatte auch einen kleinen Sohn zu Hause, also es geht so einfach nicht, und die wollte aber nicht. Also die hat dann immer gesagt: "Ja ja, mach ich", und hat dann im letzten Moment wieder abgebogen. Wir saßen dann drei oder vier Stunden dann mehr oder weniger um sie rum, der Freund, ihre Schwester, ein Bekannter und ich, haben immer wieder versucht, sie dazu zu motivieren. Das ging dann zehn Minuten lang gut, dann wollte sie nicht. Dann habe ich nachts gesagt, nein, das hat keinen Sinn mehr, ich fahre jetzt nach Hause.


Der Einstieg in die Geschichte beginnt mit einer Selbstbeschreibung. "Der Fall ging ihr an die Nieren". Damit drückt sei eine starke, körperliche Betroffenheit aus. Anschließend beschreibt Bettina das verrückte Verhalten der Frau zunächst auf metaphorische Weise ("stimmt etwas nicht"; "geistert") um es dann als "klassisch" zu bezeichnen. Damit meint sie vermutlich, dass die beschriebenen Symptome typisch für die medizinische Diagnose "Schizophrenie" sind. Damit ist der Fall bereits am Telefon klassifiziert als individuelle, psychische Problematik der Frau. Bettina macht einen Hausbesuch, nach einer Viertelstunde ist die einzig mögliche Lösung klar: "Die muss in die Klinik". Mit der Metaphorik des richtigen und falschen Weges wird schließlich die Problematik der Situation beschrieben: Den einzig richtigen Weg will die Frau nicht gehen. Es entwickelt sich eine typische Situation für die sozialpsychiatrische Arbeit: Die Professionellen haben eine Lösung für die Problematik der KlientIn im Kopf und versuchen diese dafür zu "motivieren". Doch die Frau bleibt widerständig. Schließlich gibt Bettina auf. Interessant ist in der zitierten Passage die Konstruktion des "Wir": Bettina identifiziert sich mit den Angehörigen und taucht abends über drei Stunden in die Dynamik der Situation ein. Offensichtlich hat sie bereits an dem ersten Abend professionelle Grenzen überschritten.

 

Kam dann am nächsten Tag mit dem Chef wieder, und dann haben wir sie mehr oder weniger wirklich ins Auto gepackt oder in den Dienstbus gepackt, also rausgetragen aus der Wohnung - das war schon sehr an der Grenze. Sie hat geschrien und um sich geschlagen. Da haben wir sie dann zum nächsten Nervenarzt gefahren, der hatte die Einweisung schon längst fertig, aber konnte sie nicht an den Mann bringen, und der hat uns dann einen Sanka und Polizeischutz angefordert. Das war jetzt kein, also da bin ich heute noch davon überzeugt, dass das richtig war. Und das hat sie auch, nach einer Woche hat sie es dann selber zugegeben. Als sie dann wieder bisschen herunten war. Aber das ist eigentlich so eine Szene, die auch unheimlich an die Nieren geht. Also wenn da jemand gegen seinen Willen da ins Auto geschleppt wird, festgehalten wird ... Also das hab ich bis jetzt einmal machen müssen und ich hoffe, nie wieder. Weiß ich nicht, ob ich es noch mal könnte. Also da ging es eigentlich nur, weil wir alle schon so in der Dynamik drin waren, dass das der logische nächste Schritt war


Dieser Abschnitt der Erzählung von Bettina ist stark geprägt durch den juristischen Diskurs (Einweisung, Polizeischutz, gegen den Willen). Zudem spricht Bettina über die eigene emotionale Belastung. Sie sucht nach Bestätigung ihres Handelns, das sie als grenzwertig erlebt. Über die Beteiligung ihres Chefs, die Zustimmung des Nervenarztes und die Rückmeldung der Klientin kann sie ihr schlechtes Gewissen etwas entlasten. Die Betrachtung der Metaphorik erlaubt eine Hypothese zum Ursprung dieses Bedürfnisses nach Bestätigung ihres Handelns. Die Beschreibung "ins Auto gepackt" macht die Klientin metaphorisch zu einer Sache, zu einem Gepäckstück. Sie wird entmenschlicht. Nur auf diese Weise kann Bettina dieses gewalttätige Vorgehen beschreiben. Es ist für sie fast nicht erträglich "an der Grenze". Sie beschreibt den Vorgang distanziert als eine "Szene". Und schließlich sehr mechanistisch: "Da ging es eigentlich nur, weil wir alle schon so in der Dynamik drin waren, dass das der logische nächste Schritt war." Es ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein Schritt, der aus der Dynamik folgte. Vermutlich braucht es jedoch ein großes Maß an aggressiver Energie, um eine um sich schlagende Frau in ein Auto zu "packen". Diese aggressive Eigenleistung taucht in der Erzählung nirgends auf. Es könnten die eigenen aggressiven Impulsen sein, die Bettina so an die "Nieren gehen".

 

I: Und wie kam die Idee, am nächsten Morgen gemeinsam mit dem Chef hinzufahren und sie in die Klinik zu bringen? Wie kam es dazu?
B: Weil der Freund sehr verzweifelt - ... Also erstens mal war sie wirklich sehr, sehr schräg drauf, der Freund schon völlig, also es waren eigentlich alle völlig erschöpft und ratlos, der Freund hat gesagt, er hat seit drei Nächten nicht mehr geschlafen, weil sie halt ständig geistert und irgendwas anstellt, wenn er nicht aufpasst. Und dann hab ich dann von mir aus gesagt, okay, wir probieren es morgen noch mal. Also erst mal nur mit dem Hintergedanken, ich red noch mal mit ihr und ich nehme einen Kollegen mit, der schon bisschen erfahren ist, vielleicht weiß der einen Draht, wie man das machen kann. Und dann sind wir zu ihr hingefahren und dann hat sie gesagt: "Ja ja, ich fahr schon in die Klinik, aber ich muss zuerst noch duschen" und zuerst jenes und jenes, und hätte wieder angefangen, uns so hinzuhalten. Und dann habe ich dann einfach gesagt: Nein, jetzt fahren wir. Und dann haben wir sie halt so untern (lacht) Arm geklemmt. Also es war keine beabsichtigte Aktion. Es kamen schon immer von ihr wieder so Signale, dass sie nicht abgeneigt wäre, die war auch schon beim Nervenarzt vorher, und da haben wir dann mehr oder weniger dann so Vollstreckungsgehilfen gespielt. (lacht)


Deutlich ist zu Beginn die Identifikation mit den Angehörigen. Bettina leidet mit und entschließt sich, noch mal mit der Hilfe eines Kollegen wiederzukommen. Es wird jedoch deutlich, dass sich an der Situation nichts ändert, die Klientin kommt nicht mit in die Klinik. Bettina bricht schließlich das Spiel ab, indem sie die Frau "unter den Arm klemmt". Auch in dieser Passage entschuldigt sie ihr Verhalten gewissermaßen: Es war nicht "beabsichtigt", von der Klientin kamen "Signale, dass sie nicht abgeneigt sei". Schließlich distanziert Bettina sich von ihrer gewaltsamen Handlung, indem sie sich lediglich als "Vollstreckungsgehilfin" bezeichnet. Offensichtlich möchte sie nicht die Verantwortung für ihr Vorgehen übernehmen.

 

I: Und wie ging es Ihnen da eigentlich, das ist ja so ein Job, den die Polizei übernimmt, jemand gegen den Willen ...
B: Es war absolut scheußlich. Also mir ging es hundeelend. Auch die Schwester stand völlig fassungslos dabei, die war den Tränen nahe, ich eigentlich auch. Das hat sich erst dann wieder ein bisschen aufgelöst, als wir dann beim Nervenarzt waren und der gesagt hat: Nein, das war schon okay so. Also er hat sich schon öfter mit ihr unterhalten, die wäre nicht freiwillig hergefahren, und er befürwortet das, er holt einen Krankenwagen und er holt die Polizei. Also auch so ein bisschen als Bestätigung für mich. Dass es zwar nicht die feine Art war, aber irgendwie berechtigt. Und dass auch die Polizei dann anstandslos das Auto begleitet hat. Und die hat sich dann gleich beim Nervenarzt sofort auf den Praxiscomputer gestürzt, hat da angefangen, wild drauf rumzuhacken, also es war dann wirklich auch sichtbar, dass sie die Situation nicht mehr so gut einschätzen konnte. Aber richtig gut ging es mir erst, als ich sie dann selber in der Klinik noch besucht hab und wo sie gesagt hat: Nein, sie versteht es, sie wäre wirklich nicht gegangen und sie kann nachvollziehen, dass uns halt nix anderes übriggeblieben ist.


Zunächst wird die Identifikation mit den Angehörigen deutlich: Bettina beschreibt ihren emotionalen Zustand parallel zu dem der Schwester der Betroffenen. Ihre Betroffenheit und Verwirrung zeigt sich in der Metaphorik "fassungslos" und "aufgelöst". Sie ist offensichtlich nicht klar in ihrer Rolle, sondern hat sehr stark persönlich Anteil an der Situation. Die professionelle Rolle spricht sie anderen (Arzt, Chef, Polizei) zu. Die Professionellen, der Arzt und die Polizei, treten als Autoritäten auf, die das Vorgehen von Bettina rechtfertigen. Interessant ist die Verwendung der Metaphern "feine Art" und "anstandslos", die aus dem Benimmdiskurs stammen. Der Verstoß gegen die gesellschaftlichen Konventionen wird so verdeutlicht, es hat aber auch etwas von einer ironischen Distanzierung von dem eigenen gewalttätigen Übergriff, der in der Situation stattfand. Zusammenfassend kann man mit Hilfe der Metaphernanalyse zeigen, wie hier die Rolle der Mitarbeiterin abrupt von der Position der Helfenden in die gewaltausübende, kontrollierende Position umkippt. Dieses Umkippen wird auf der inhaltlichen Ebene der Erzählung gerechtfertigt durch die Diagnose Schizophrenie und das Leiden der Angehörigen. Letztendlich ausschlaggebend für die Gewaltanwendung erscheinen jedoch, wenn man der Metaphorik in der Erzählung folgt, der Abzug der Empathie für die Betroffene (ironische Distanzierung und Verdinglichung der Person) sowie die metaphorische Konstruktion einer Unausweichlichkeit (Metaphorik des richtigen Weges und des logischen nächsten Schrittes). Bettina findet sich hier in dem klassischen Dilemma der sozialpsychiatrischen Arbeit, dass in der Einleitung dieses Beitrages erläutert wurde: Die sozialpsychiatrischen Hilfesysteme in Deutschland haben kaum eigene Ressourcen zur Betreuung und Behandlung von Menschen in psychotischen Krisen. Eine Klinikeinweisung erscheint als einzig mögliche Lösung. Folgt der Klient nicht freiwillig dieser Lösung bleibt in letzter Konsequenz nur die Zwangseinweisung. Fatalerweise werden diese gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen selten reflektiert und kritisiert, insbesondere in den Fallschilderungen werden sie als gegeben hingenommen und die Verantwortung für die Notwendigkeit einer Zwangseinweisung dem Klienten bzw. seiner "psychischen Erkrankung" zugeschoben. Durch entsprechende metaphorische Konstruktionen erscheint das subjektiv zwangsläufig und logisch. Man kann vermuten, dass dies auch dem Bewahren der "Helferidentität" dient, die viele Professionelle auch im eindeutig durch Kontrolle bestimmten Feld der Sozialpsychiatrie als Motivation für die Berufswahl sehen (Quindel, 2004, S.173). Die bisherigen Darstellungen sollten exemplarisch am Beispiel der "Einweisung in die Klinik" verdeutlichen, in welcher Weise das Thema "Kontrolle" in der Sozialpsychiatrie verhandelt wird. Ein verantwortungsvoller, professionell begründeter Einsatz von Kontrolle und Zwang ist nur möglich, wenn der Kontrollauftrag der Sozialpsychiatrie offen thematisiert wird. Diese Transparenz macht es auch den Angehörigen und den PatientInnen einfacher, mit diesem Aspekt umzugehen. Diese Transparenz nach außen setzt jedoch die Reflexion der kontrollierenden Aspekte der eigenen Arbeit durch Professionelle voraus. Dabei ist die bewusste Auseinandersetzung eine erste Möglichkeit, jedoch auch unbewusste, metaphorisch getragene Positionierungen sollten Gegenstand von professioneller Weiterbildung und Supervision sein. Diese Reflexion der eigenen Rolle wird unweigerlich auch zu Kritik an den bestehenden Arbeitsbedingungen führen, die zu Zwangseinweisungen führen, die unter anderen institutionellen Bedingungen nicht notwendig wären. Skandinavische Modelle (Haselmann, 2008) zeigen durch aufsuchende und systemisch orientierte sozialpsychiatrische Arbeit Möglichkeiten des Aushandelns von Konflikten zwischen den Angehörigen und den psychotischen Patienten, die zu einvernehmlicheren Lösungen führen können, als die biologisch-medizinische Logik der alternativlosen stationär-medikamentösen Behandlung von Psychosen.

Endnoten

  1. Als Beispiel die Darstellung des SpDi Bochum: www.bochum.de/C125708500379A31/vwContentByKey/W26ZAHT6108BOLDDE
  2. Zu der Frage nach dem Verhältnis der medizinischen Begriffe Gesundheit/psychische Krankheit, der Paarung Vernunft/ Unvernunft und zum juristischen Begriff der Zurechnungsfähigkeit/Unzurechnungsfähigkeit lohnt es sich, die historische Studie über die Geschichte des Wahnsinns von Michel Foucault (1989) zu lesen.
  3. Die Namen sind erfunden.

Literatur

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Autor

Prof. Dr. Ralf Quindel
Ralf.Quindel@bitte-keinen-spam-khsb-berlin.de

Dipl.-Psychologe, Systemischer Familientherapeut (SG), Professur für psychologische Grundlagen der Sozialen Arbeit und Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie, Erziehungs- u. Familienberatung, Gemeindepsychiatrie



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