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Gesundheitsförderungsgesetz ja - unter Einbindung der Kommunen

Uschi Haag1 & Claus Weth2
1für den SprecherInnenrat des GesundeStädte-Netzwerkes
2für das Sekretariat des GesundeStädte-Netzwerkes
[Gemeindepsychologie, Jg. 15 (2010), Ausgabe 3]


Yes to the Health Promotion Act - with Community Involvement
Assessment of the Munich Declaration from a local perspective

Die Gesellschaft für Gemeindepsychologie und Forschung und Praxis (GGFP) formuliert in der "Münchener Erklärung zur Gesundheitsförderung" Prüfsteine für ein Gesetz, dass internationale Beschlüsse zur Gesundheitsförderung ernst nimmt und verbindlich verankert. Mit diesem Anliegen knüpfen die AutorInnen an die Bestrebungen der Gesunden Städte (ein Zusammenschluss von derzeit 69 Städten, Kreisen und Regionen im Gesunden Städte-Netzwerk) an, Gesundheitsförderung als gesamtpolitische Aufgabe zu definieren und festzuschreiben. Trotz inzwischen jahrzehntelanger Diskussion ist dies bisher nicht gelungen. Während die letzte Bundesregierung zumindest nochmals einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, ist dieses Thema mit der neuen Bundesregierung völlig vom Tisch.

Ebenfalls bezugnehmend auf die WHO und andere internationale Fortschreibungen verpflichten sich die Kommunen des Gesunde Städte-Netzwerkes einer kommunalen Praxis der Gesundheitsförderung. Das Netzwerk reagiert damit auf das anhaltende Defizit seitens der Bundesregierung(en), ein Präventionsgesetz zu verabschieden. Ehrlicher Weise muss allerdings auch hinzugefügt werden, dass die bisherigen Entwürfe eines Präventionsgesetzes aus Perspektive der Kommunen zu kurz gegriffen haben. Die viel strapazierte und ob ihrer Klarheit immer wieder faszinierende WHO-Aussage, dass Gesundheit von Menschen geschaffen und gelebt wird, "wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben", weist den Kommunen im Zusammenwirken mit den dort lebenden Menschen eine hohe Verantwortung zu. Wer Gesundheit im Lebensalltag der Menschen verankern will (wie auch die AutorInnen der Münchner Erklärung), kommt an "der Stadt" bzw. "an dem Stadtteil" nicht vorbei. Schon gar nicht, wenn dies nachhaltig erfolgen soll und gemeinsam mit denjenigen, für deren Leben dies relevant ist. All dies wurde in bisherigen Gesetzentwürfen zwar benannt, aber mit dem Argument der föderalen Struktur nicht so weiterverfolgt.

Ganz unabhängig davon haben die Kommunen eigene Strukturen entwickelt, die ein gesundheitsförderliches Zusammenwirken aus Selbstverantwortung und kommunaler Unterstützung ermöglichen. So wurden in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur Projekte und Maßnahmen entwickelt, sondern auch Beteiligungsprozesse gelernt und strukturell verankert. Einen Schub hat diese Entwicklung u.a. durch das Investitionsprogramm für "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - Soziale Stadt" der Städtebauförderung von Bund und Ländern erhalten. Nachdem zunächst der Zusammenhang zwischen städtebaulichen Maßnahmen und Gesundheit kaum eine bis gar keine Rolle spielte, hat sich dies in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Einerseits wurde das manches Mal vergrabene Wissen bestätigt, dass stadtplanerische Maßnahmen mehr Akzeptanz finden, wenn die Menschen zumindest punktuell eingebunden werden. Anderseits wurde - wenn auch mit etwas Verzögerung - gelernt , dass z.B. eine wunderbare Parkanlage mehr als eine Augenweide sein kann und mit verhältnismäßig wenigen Mitteln und viel Kreativität der Anwohnenden zum Begegnungs-, Bewegungs-, Entspannungs- und damit Gesundheitsort werden kann. Insofern ist es positiv zu vermerken, dass auf Bundesebene nachgebessert wurde, indem das Thema Gesundheit in diesem für die Kommunen so wichtigen Programm einen anderen Stellenwert erhalten hat. Diese bundespolitische Entwicklung hat Auswirkungen auf die Landesebene, da hier wesentlich über die Mittel entschieden wird, die aus dem Programm in die Kommune fließen. Da auch in den Kommunen Gesundheit eher in der Ausnahme als in der Regel als Querschnittsaufgabe verstanden wird, wirken top-down Entwicklungen dieser Art vor Ort sehr unterstützend. Dennoch: Ein Programm ist ein Programm und keine strukturelle Grundlage. Eine solche jedoch brauchen die Kommunen dringend. Und um so bedauerlicher ist es, dass auf Bundesebene aktuell auch noch Kürzungen dieses erfolgreichen Programms diskutiert werden. Insbesondere sollen die nichtinvestiven Mitteln gestrichen werden, dank derer oft erst eine Einbindung der Menschen und damit ein lebendiges und gesundheitsförderliches Gemeinwesen ermöglicht wird.

Bereits 2005 heißt es in einem Schreiben des Deutschen Städtetages an die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zum Entwurf eines Präventionsgesetzes "...Kritisch zu sehen ist, dass es in der Vergangenheit vielfach an gesicherten Ressourcen fehlte, die nachhaltige Handlungsstrukturen garantieren. Nach unseren Erfahrungen liegt in der Struktursicherheit die größte Herausforderung. Gute Planungen und zielorientiertes Handeln benötigen gesicherte Strukturen - der Rahmen bestimmt die Handlungssicherheit der Akteure. Eine nachhaltige Gesundheitsförderung gelingt nur durch Schaffung einer zukunftsfähigen öffentlichen Verantwortungsstruktur und einheitlicher Qualitätskriterien. Dazu brauchen wir in Deutschland ein Gesundheitsförderungs- und Präventionsgesetz....."

Wie in bisherigen Gesetzentwürfen und auch in der Münchner Erklärung hervorgehoben, muss Gesundheitsförderung in der sozialräumlich bestimmten Lebenswelt und im Setting erfolgen. Die Kommunen haben in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen zur Gesundheitsförderung unternommen, gerade in den Settings, also in den Familien, Kindertagesstätten, Schulen, Tagesstätten, in Stadtteilen und Quartieren, um die Menschen in ihren Lebensräumen zu erreichen. Vielfältige Formen von bürgerschaftlichem Engagement in Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen, in Verbänden und Initiativen in den Städten bilden einen wichtigen Faktor bei der Verwirklichung von Gesundheitsförderung und Prävention. Alle diese Aktivitäten haben einen gemeinsamen Fokus: Für und mit den Menschen in einer Gesunden Stadt, hier insbesondere den Menschen in sozial benachteiligten Lebenssituationen, aktiv zu werden und gemeinsam mit ihnen etwas im eigenen Verhalten und an den Verhältnissen zu verändern. Vieles davon geschieht gemessen an anderen Investitionen mit wenig finanziellen Mitteln. Doch in Zeiten von Haushaltskonsolidierungen laufen auch diese Gefahr, gedeckelt oder ganz zurückgeschraubt zu werden.

Ganz anders sieht es in anderen europäischen Ländern aus. In England, der Schweiz, in Österreich und Finnland, die als richtungsgebend in Europa angesehen werden können, werden die Kommunen bei der Festlegung des nationalen Präventionsprogramms sowie bei der Umsetzung eingebunden und das jeweilige Finanzierungssystem für Präventionsprogramme wird dargelegt.

Zusammengefasst: Ja - wir brauchen ein Gesundheitsförderungs- bzw. Präventionsgesetz. Aber wir brauchen eines, das die Möglichkeiten und Bedingungen der Kommunen mit einbezieht.

Die "Münchner Erklärung zur Gesundheitsförderung" stützt an vielen Punkten die Kommunen, sowohl hinsichtlich der Forderungen auf der Basis der WHO als auch hinsichtlich eines Rahmens auf Bundesebene. Die Rolle der Kommunen im Zusammenwirken mit den Menschen vor Ort wird - ähnlich den bisherigen Entwürfen eines Präventionsgesetzes - nicht benannt (nicht gesehen?). Dies ist bedauerlich, hoffentlich veränderbar und vielleicht ein weiterer Schritt in die dringend erforderliche Diskussion zwischen Wissenschaft und Praxis. Die Gesunden Städte freuen sich über weitere Anregungen und einen Dialog auf Augenhöhe.

Autoren

Dr. Claus Weth
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Geschäftsführer des Gesunde Städte-Netzwerks, Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung und -planung, Verwaltung des Gesundheitsamtes der Stadt Münster

Uschi Haag, Mag.
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Mitglied des SprecherInnenrates des Gesunde Städte-Netzwerks, Leiterin der Abteilung Gesundheitliche Versorgung und Prävention im Referat für Gesundheit und Umwelt der Landeshauptstadt München



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