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Editorial

[Forum Gemeindepsychologie, Jg. 15 (2010), Ausgabe 3]


"Münchner Erklärung zur Gesundheitsförderung - Prüfsteine für ein neues Gesundheitsförderungsgesetz" der GGFP (2009)

Einen ersten Gesetzentwurf zum Thema "Prävention und Gesundheitsförderung" legte die damalige rot-grüne Bundesregierung 2005 mit dem Ziel vor, das Bewusstsein für die Thematik und die Stabilisierung der Sozialsysteme mit einem eigenen Gesetz für Prävention und Gesundheitsförderung zu fördern. Durch eine gesetzliche Regelung sollten Umfeldbedingungen und individuelles Handeln auf eine nachhaltige Gesundheitsförderung ausgerichtet werden (Bundesvereinigung Prävention, 2010). Nach einer ersten Lesung des Gesetzentwurfs forderte der Bundesrat eine Überarbeitung des Gesetzes v.a. wegen neu zu schaffender bürokratischer Strukturen und daraus entstehender finanzieller Folgen für die Länder. Als der Bundestag daraufhin das Gesetz gegen die Stimmen der Opposition verabschiedete, wurde vom Bundesrat der Vermittlungsausschuss (VA) angerufen, der wiederum im Juni 2005 beschloss, das Gesetz zur Stärkung der gesundheitlichen Prävention zu vertagen. Die Ende 2005 neu gewählte Regierung (CDU, CSU, SPD) nahm das Thema "Präventionsgesetz" in den Koalitionsvertrag auf und die "Eckpunkte zu einer Gesundheitsreform 2006" bestätigten das Ziel der Verabschiedung eines eigenständigen Gesetzes. Der daran anschließende Referentenentwurf (2007) scheiterte letztendlich vor allem an nicht vereinbaren Zielvorstellungen innerhalb der Koalition.

Kritik an diesem Referentenentwurf kam jedoch auch von unterschiedlichen Gruppierungen und Akteuren des Gesundheitswesens (vgl. Dokumentation von Stellungnahmen unter der Website von Gesundheit Berlin e.V.); einige Punkte sollen hier beispielhaft benannt werden: So setzten sich die Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung für eine deutliche salutogenetische Perspektive ein, u.a. mit der Forderung nach einem stärkeren positiven Gesundheitsbegriff anstatt einer Krankheitsprävention im engeren Sinne. Ebenso plädierten sie dafür, Prävention und Gesundheitsförderung stärker als gesamtgesellschaftliche und beteiligungsorientierte Aufgaben zu definieren. Im Hinblick auf die im Gesetz vorgesehene strukturelle Verankerung wurden eine größere Trägerbreite (bspw. die Erweiterung auf den Öffentlichen Gesundheitsdienst), eine breitere Vernetzung wie auch mehr partizipative Strukturen (u.a. bezirkliche bzw. stadtteilorientierte Gesundheitskonferenzen) gewünscht. Eine stärkere Berücksichtigung psychischer Erkrankungen und Störungen mahnte zudem der Berufsverband der deutschen Psychologen (BDP) an.

Auch in der Gesellschaft für Gemeindepsychologische Forschung und Praxis e.V. (GGFP) fand eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Referentenentwurf von 2007 statt. Interne und externe Diskussionen (wie auf der GGFP-Jahrestagung 2009 zum Thema "Gesundheitsförderung als Stärkung von Widerstandsressourcen: Für mehr soziale Gerechtigkeit" in München) mündeten in der Veröffentlichung der "Münchner Erklärung zur Gesundheitsförderung - Prüfsteine für ein neues Gesundheitsförderungsgesetz" (GGFP, 2009). Diese Prüfsteine sind im Geiste des Gesundheitsverständnisses der WHO formuliert: Die Autoren beziehen sich auf die Ottawa-Charta der WHO (1986) wie auch auf die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2009). Diese "sprechen die Selbstbestimmung an und die zu ihrer Gewährleistung notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, ohne die 'Selbstverantwortung‘ nicht möglich ist (GGFP, S. 1)." Mit den Prüfsteinen fordert die GGFP, "ein Gesundheitsförderungsgesetz zu konzipieren, das diese internationalen Beschlüsse in ihrem verpflichtenden Charakter ernst nimmt und ihnen eine verbindliche Verankerung sichert (GGFP, 2009, S. 2)."

Die Startet den Datei-DownloadMünchner Erklärung zur Gesundheitsförderung steht in dieser Ausgabe des Forum Gemeindepsychologie im Zentrum. Mit Stellungnahmen, Texten und Kurzvorstellungen von Projekten zur Gesundheitsförderung soll sie von unterschiedlichen Standpunkten aus beleuchtet und in ihren Konsequenzen analysiert werden.

Noch einmal kurz zurück zum parlamentarischen Prozess der Gesetzgebung: Die Antwort der Bundesregierung vom Februar 2010 auf die Anfrage der SPD (Bundesregierung, 2010) macht deutlich, dass die jetzige Bundesregierung die Entwicklung eines Präventionsgesetzes nicht weiter verfolgen wird. Laut Daniel Bahr (FDP, MdB, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Gesundheit) plane die Bundesregierung stattdessen, "alle relevanten Akteure der Prävention und Gesundheitsförderung in eine umfassende Strategie einzubinden. Dabei sollen insbesondere bestehende Strukturen und Programme genutzt werden (Bundesvereinigung Prävention, 2010)."

Hier schließt sich der Titel der Stellungnahme von Rolf Rosenbrock an: Mit dem Zitat Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterSeid realistisch: Fordert das Unmögliche interpretiert Rosenbrock die Forderung der "Münchner Erklärung" nach einem 'Programm' für ein Bundesgesetz "als didaktische[n] Kniff, mit dem die LeserIn zum Nachdenken gebracht werden […] soll". Er bezeichnet die Münchner Erklärung als "wissensbasierten Leitfaden zur Gestaltung einer gesundheitsgerechten Gesellschaft."

In ihrem Text Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterGesundheitsförderungsgesetz ja - unter Einbindung der Kommunen bewerten Uschi Haag (für den SprecherInnenrat des GesundeStädte-Netzwerkes) und Claus Weth (für das Sekretariat des GesundeStädte-Netzwerkes) die Münchner Erklärung aus kommunalpolitischer Sicht. Mit Bezug auf das Statement der WHO, dass Gesundheit von Menschen geschaffen und gelebt wird, "wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben", heben die AutorInnen den Stellenwert von Kommunen, Regionen und Stadtteilen hervor und verweisen in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit gesicherter Strukturen und Ressourcen für Strategien der Gesundheitsförderung auf kommunaler Ebene.

Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterEinen Porsche Cayenne mit Wohnanhänger fahren, eine eigene Katze haben dürfen oder bei einer Freundin übernachten? Wie Kinder ihre Vorstellungen von einem guten Leben heute zum Ausdruck bringen. - Simone Kreher, Eva Marr und Christine Keller nutzten die Münchner Erklärung für Gesundheitsförderung als Inspiration für ein Forschungsprojekt und präsentieren in dem vorliegenden Text erste Ergebnisse zu der Frage, welche Vorstellungen Kinder und Jugendliche von einem "guten Leben" entwickeln.

In seinem Beitrag Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterZur "Münchner Erklärung zur Gesundheitsförderung" von der GGFP - Die Magie der Worte und das Ende der Utopien verweist Christoph Klotter darauf, dass Erklärungen zur Gesundheitsförderung zahlreich sind und hinterfragt mit Bezug auf Foucault aus machtanalytischer Perspektive kritisch zentrale Aussagen der Münchner Erklärung, wie auch die "implizite[…] Annahme, dass die Macht des Wortes ausreiche, um Realität zu ändern".

Schließlich möchten wir mit einer kurzen Vorstellung einzelner Praxisprojekte zur Gesundheitsförderung, die LeserInnen einladen, sich nicht nur selbst weiter über diese und andere Projekte zu informieren, sondern diese auch zum Anlass zu nehmen, um weitergehend über die Umsetzung der Münchner Erklärung in verschiedene Praxisfelder zu reflektieren.

Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterProjekt Kiezdetektive: Kinderbeteiligung für eine gesunde und zukunftsfähige Stadt
www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/verwaltung/org/planleit/kiezdetektive.html

Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterProjekt MIMI: Das Gesundheitsprojekt "Mit Migranten für Migranten - Interkulturelle Gesundheit in Bayern" (MiMi-Bayern)
www.bkk-promig.de
www.ethno-medizinisches-zentrum.de/index.php?option=com_content&view=article&id=36&Itemid=4

Öffnet einen internen Link im aktuellen FensterProjekt NAIS (Neues Altern in der Stadt) Bruchsal (Pilotkommune der Bertelsmannstiftung von 2005-2007)
www.neues-altern.de


Interessierte LeserInnen seien an dieser Stelle auf die Praxisdatenbank "Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten" zur weiterführenden Recherche verwiesen. Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterwww.gesundheitliche-chancengleichheit.de/?uid=7e66b009ca870c3e14ccc978d7bd9085&id=main2


Christine Daiminger
(Für die Redaktion)

Literatur

Bundesregierung (2010). Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Bärbel Bas, Dr. Edgar Franke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - Drucksache 17/681 - Stärkung der gesundheitlichen Prävention. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/008/1700845.pdf. (Letzter Zugriff: 23.11.2010).

Bundesvereinigung Prävention (2010). Präventionsstrategie statt Präventionsgesetz. Verfügbar unter: http://www.bvpraevention.de/cms/index.asp?inst=bvpg&snr=7759 (Letzter Zugriff: 23.11.2010).

Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V., Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (2010). Infotexte Gesundheitspolitik - Präventionsgesetz. Verfügbar unter: http://www.gesundheitberlin.de/index.php4?request=themen&topic_id=350. (Letzter Zugriff: 23.11.2010).

GGFP (2009). Münchner Erklärung zur Gesundheitsförderung - Prüfsteine für ein neues Gesundheitsförderungsgesetz. Verfügbar unter: http://www.gemeindepsychologie.de/fg-3-2010.html.



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